Selektives Trockenstellen: Schon weit verbreitet?

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Seit der EU-Verordnung 2019/6 ist das antibiotische Trockenstellen der gesamten Herde nicht mehr gewollt. Deshalb steht nun das selektive Trockenstellen im Fokus der Milchviehbetriebe. Um herauszufinden, wie verbreitet diese Methode in den Bundesländern Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Hessen bereits ist, führten Wissenschaftler*innen unter der Leitung der Lehr- und Versuchsanstalt für Viehhaltung Hofgut Neumühle eine Umfrage unter Landwirt*innen durch. Sie baten Landwirt*innen, mit einem Onlinefragebogen Fragen rund um die Eutergesundheit zu beantworten. Dazu zählten u.a. die Kriterien zur Entscheidung, wann das selektive Trockenstellen möglich ist, die Art des Trockenstellens und auch die Anwendung von Zitzenversieglern.

Die Ergebnisse waren wie folgt: etwa 29 % der Landwirt*innen, die geantwortet haben, stellen 25 % ihrer Kühe selektiv trocken, 20 % der Landwirt*innen immerhin gut 50 % der Kühe und 23 % stellen 75 % ihrer Kühe selektiv trocken. Etwa 15 % der Landwirt*innen stellen noch immer alle Kühe antibiotisch trocken. Als Entscheidungskriterium nutzen die meisten Umfrageteilnehmer*innen die Zellzahl und auch die Mastitishistorie, also wie die Kuh in der Vergangenheit von Mastitis betroffen war, sowie den Schalmtest. Die Mehrheit der Betriebe aus der Umfrage stellt die Kühe abrupt trocken und ebenfalls die Mehrheit nutzte Zitzenversiegler.

Insgesamt antworteten 101 Landwirt*innen auf die Umfrage. Sie gehörten eher zu den größeren Betrieben mit mehr Milchkühen als im Durchschnitt der jeweiligen Bundesländer, deshalb sind die Ergebnisse vor diesem Hintergrund zu sehen und zu bewerten. Dennoch schlussfolgern die Wissenschaftler*innen aus den Daten, dass das Prinzip des selektiven Trockenstellens Einzug in die Milchvieh haltenden Betriebe gefunden hat und dass das Fachwissen, wie die Entscheidung zu fällen ist, vorhanden ist.

Eine weitere Studie** stellt eine Umfrage aus dem Jahr 2023 zur Nutzung des selektiven Trockenstellens in Norddeutschland vor. Sie wurde durchgeführt von Mitarbeitenden der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Von rund 1.500 angeschriebenen Landwirt*innen nahmen 136 Personen teil. 70 % dieser Personen gaben an, bereits ein Konzept zum selektiven Trockenstellen anzuwenden. Motivation dabei war die Einsparung von Antibiotika, die auch bei den meisten Betrieben eintrat. 51 % der Befragten gab an, dass die Eutergesundheit mit dem selektiven Trockenstellen gleich geblieben ist, bei 7 % hat sie sich sogar verbessert. 19 % der Personen aus der Umfrage stellten allerding auch eine Verschlechterung der Eutergesundheit fest. Die 30 % der Personen, die noch kein selektives Trockenstellen praktizierten, gaben als Grund dafür an, dass sie eine Verschlechterung der Eutergesundheit befürchten. Die Gründe Mehraufwand, generelle Unsicherheit oder schlechte Erfahrungen in der Vergangenheit wurden dagegen eher selten genannt. Immerhin 54 % der Personen gab jedoch an, dass die Gründe so bedeutend seien, dass sie auch zukünftig nicht mit dem selektiven Trockenstellen beginnen wollen.

Auch in dieser Studie haben vergleichsweise wenig Personen geantwortet (9,1 %), weshalb die Ergebnisse diesbezüglich eingeordnet werden müssen. Dennoch stellen die Wissenschaftler*innen fest, dass etwa ein Drittel der Landwirt*innen trotz gesetzlicher Vorgaben noch kein selektives Trockenstellen anwendet. Sie empfehlen eine zielgerichtete Schulung der beteiligten Personen durch Tierarztpraxen und eine unkomplizierte Vorgehensweise bei der Umstellung auf das selektive Trockenstellen, um die Akzeptanz zu erleichtern.

*Studie: Scheu, Theresa et al.: Selektives antibiotisches Trockenstellen bei Milchkühen in Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Hessen – eine Umfrage unter Landwirten. Tierärztliche Praxis Großtiere Nutztiere 1, 2024, S. 5-15.

**Preine, Franziska et al.: Selektives Trockenstellen in Norddeutschland: Umsetzung und Strategien. Der praktische Tierarzt 7, 2024. S. 698-705.

Quelle: Dr. Heike Engels, Der Hoftierarzt
Zuerst erschienen im E-Magazin „Der Hoftierarzt“ 5-2024