Tierärzte Atlas Deutschland 2024 Daten, Trends und Entwicklungen der Tiergesundheitsbranche

Titelseite des „Tierärzte Atlas Deutschland 2024“, online frei verfügbar unter: www.tierärzteatlas.de

Von Jörg Held

Es gibt immer mehr Tierärzt:innen. Zugleich fehlt es an tierärztlicher Arbeitszeit. Und auch die Zahl der niedergelassenen Tierärzte geht zurück. Der erstmals aufgelegte „Tierärzte Atlas Deutschland 2024“ zeigt mit über 130 Verlaufsgrafiken, wie sich der Beruf, das Tiermedizinstudium und die Rahmenbedingungen der Branche über 20 Jahre entwickelt haben. Die Kernaussagen für die Tierarztpraxen:

Es gibt keine Abwanderung aus der kurativen Praxis: Über 20 Jahre liegt das Verhältnis praktizierende Tierärzt:innen zu den in anderen Berufsfeldern Tätigen bei 2:1
Die Praxisstrukturen verändern sich: Der Zuwachs erfolgte vor allem bei den weiblichen angestellten Tierärzt:innen (lila Balken). Die Zahl der Niedergelassenen Tierärzt:innen ist seit 2019 rückläufig (schwarze Linie).

Tierärztlicher Nachwuchs:
Das Interesse am Beruf Tierarzt/Tierärztin ist ungebrochen hoch. Auf einen der jährlich rund 1.100 verfügbaren Studienplätze kommen aktuell fünf Bewerber:innen (Tendenz sinkend). Nennenswert mehr Studienplätze sind angesichts der Haushaltslage der Bundesländer nicht realistisch. Für die nächsten 15 Jahre muss die Branche mit jährlich 920 bis 940 in Deutschland ausgebildeten, zu rd. 85 Prozent weiblichen Tierärzt:innen als Nachwuchs planen. Schneller ließen sich tierärztliche Wiedereinsteiger:innen reaktivieren oder Tierärzt:innen aus dem Ausland integrieren.

Die Zahl der Tiermedizinstudierenden hat sich über 25 Jahre nur unwesentlich verändert (ø rd. 6.400 / Jahr). Entsprechend weitestgehend konstant ist auch die Zahl der abgelegten Staatsprüfungen (ø 930 / Jahr). Spürbar verschoben hat sich das Geschlechterverhältnis hin zu einem Frauenanteil von 87 Prozent.

Frauenberuf:
Bei seit Jahren 85 bis 87 Prozent Frauenanteil unter den Studierenden ist das Geschlechterverhältnis im Beruf für die Zukunft festgelegt. Der Männeranteil in den Tierarztpraxen (aktuell 30 %) wird in Richtung 15 Prozent sinken. Die Tiermedizin ist mit diesem hohen Frauenanteil deutlich stärker als andere Berufe abhängig von politischen, definierten Rahmenbedingungen und gesellschaftlichen Rollenbildern, die die Vereinbarung von Familie und Beruf stärken oder behindern.

Die praktizierenden Tierärzt:innen haben insgesamt (!) eine ausgeglichene Altersstruktur, es gibt kein Babyboomer- Problem, denn die Alterskohorten ab 30 Jahre sind jeweils gleich groß oder größer als die nächstfolgende Altersdekade. Sie könnten also zahlenmäßig deren Aufgaben übernehmen. Aber …

Praktizierende Tierärzt:innen:
Die Zahl der praktizierenden Tierärzt:innen ist über 20 Jahre fast linear gestiegen: von rd. 15.000 auf knapp 23.000. Das Interesse junger Tierärzt:innen an der kurativen Praxis ist ungebrochen groß. Aktuell arbeiten zwei Drittel der insgesamt 33.800 in Deutschland tierärztlich Tätigen in den rund 10.000 Tierarztpraxen und Tierkliniken.

Die praktizierenden Tierärzt:innen haben insgesamt(!) eine ausgeglichene Altersstruktur, es gibt kein Babyboomer- Problem, denn die Alterskohorten ab 30 Jahre sind jeweils gleich groß oder größer als die nächstfolgende Altersdekade. Sie könnten also zahlenmäßig deren Aufgaben übernehmen. Aber …

Dieses Verhältnis von 2 : 1 hat sich über die letzten 20 Jahre nicht verändert. Es gibt keine Anzeichen für eine Abwanderung in den Öffentlichen Dienst oder die Tiergesundheitsindustrie. Dennoch ist vielerorts ein Tierärztemangel spürbar. Die Erklärung dafür sind die soziodemografischen Veränderungen der Tierärzteschaft.

Selbstständig oder angestellt:
Seit 2024 gibt es mehr in den Tierarztpraxen angestellte Tierärzt:innen als Inhaber:innen. Altersstruktur und Geschlechterverteilung sprechen für eine stagnierende, ggf. sogar weiter rückläufige Zahl der Selbstständigen, bei steigender Angestelltenzahl. Ein höherer Angestelltenanteil und mehr Frauen bedeuten im Schnitt weniger verfügbare Arbeitszeit pro Kopf (Vollzeitequivalente). Anders als in der Humanmedizin gibt es für die Tiermedizin aber keine Bedarfsplanung. Damit ist unklar, wie viele (selbstständige) Tierärzt:innen in welchen Praxisformen mit wie viel tierärztlicher Arbeitszeit (angestellt und selbstständig) es wo im Land für eine adäquate flächendeckende Versorgung von Haus- und Nutztieren braucht. Daten liegen dazu nicht bzw. nur punktuell vor.

… unterscheidet man Selbständige und Angestellte ergibt sich ein etwas anderes Bild: Die Mehrheit der rd. 4.800 Praxisinhaber (grün) und ein gutes Drittel der Praxisinhaberinnen (lila Balkengrafik) dürften älter als 55 Jahre sein (Altersbaum). In den nächsten zehn Jahren müssen so mindestens 3.000 Tierarztpraxen eine Nachfolgelösung finden. Zuletzt gab es knapp 200 Übernahmen / Neugründungen pro Jahr.

Stadt oder Land / Haus- oder Nutztier:
Die Zahl der Nutztierpraktiker sinkt. Eine regional unterschiedlich ausgeprägte Unterversorgung auf dem Land zeichnet sich ab.

Dieses Stadt-Land-Problem betrifft alle Freien Berufe, ob Jura, Human- oder Tiermedizin. Die Politik reagiert z. B. mit einer Landarztquote bei Medizinstudienplätzen, in Bayern jetzt auch mit einer Landtierarztquote. Für eine solche Quotenregelung muss es aber – bisher noch fehlende – Instrumente, Daten und Kriterien geben, um Nachfrage abzubilden und „unterversorgte Gebiete“ zu definieren.

Fazit: Die Herausforderung für den Berufsstand ist es, bei wachsendem Frauenanteil auch im ländlichen Raum attraktive und familienfreundliche Arbeitsbedingungen und flexiblere Arbeitszeiten anzubieten und das Interesse der Nutztierpraxis wieder zu erhöhen.

Der Tierärzte Atlas 2024 ist online auf www.tierärzteatlas.de als PDF-Download frei verfügbar. Eine gedruckte Ausgabe kann dort für 10,00 € bestellt werden.

Hintergrund
Datenprojekt als Brancheninitiative

Der „Tierärzte Atlas“ ist eine vom Dessauer Zukunftskreis (DZK) initiierte Brancheninitiative der großen Verbände und Vereine der Tierärzteschaft und der Tiergesundheitsindustrie: Bundestierärztekammer (BTK), Bundesverband Praktizierender Tierärzte (bpt), Bundesverband der beamteten Tierärzte (BbT), Bundesverband für Tiergesundheit (BfT) sowie des Bundes angestellter Tierärzte.(BaT) und sieben Landes-/Tierärztekammern (Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein, Saarland, Sachsen, Schleswig-Holstein und Westfalen-Lippe). Der DZK plant, den Tierärzte Atlas regelmäßig fortzuschreiben und mit weiteren Branchendaten zu ergänzen. Im Frühjahr 2025 erscheint eine englischsprachige Ausgabe,