Bundesverwaltungsgericht urteilt: Töten männlicher Küken tierschutzrechtlich nur noch übergangsweise zulässig

In seiner Pressemitteilung von heute führt das Bundesverwaltungsgericht aus:

Das wirtschaftliche Interesse an speziell auf eine hohe Legeleistung gezüchteten Hennen ist für sich genommen kein vernünftiger Grund i.S.v. § 1 Satz 2 des Tierschutzgesetzes (TierschG) für das Töten der männlichen Küken aus diesen Zuchtlinien. Da voraussichtlich in Kürze Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei zur Verfügung stehen werden, beruht eine Fortsetzung der bisherigen Praxis bis dahin aber noch auf einem vernünftigen Grund. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

Der Kläger betreibt eine Brüterei. Die dort ausgebrüteten Eier stammen aus Zuchtlinien, die auf eine hohe Legeleistung ausgerichtet sind. Für die Mast sind Tiere aus diesen Zuchtlinien wenig geeignet. Deshalb werden die männlichen Küken kurz nach dem Schlüpfen getötet. Das betraf in Deutschland im Jahr 2012 etwa 45 Millionen Küken. Der Beklagte untersagte dem Kläger mit Verfügung vom 18. Dezember 2013 ab dem 1. Januar 2015 die Tötung von männlichen Küken. Er folgte damit einem an alle Kreisordnungsbehörden des Landes gerichteten Erlass, der auf das zuständige Landesministerium zurückging.

Das Verwaltungsgericht Minden hat die Untersagungsverfügung aufgehoben, das Oberverwaltungsgericht Münster die Berufung des Beklagten zurückgewiesen: Die Tötung der männlichen Küken erfolge nicht ohne vernünftigen Grund i.S.v. § 1 Satz 2 TierSchG.

Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Entscheidung nur im Ergebnis bestätigt. Gemäß § 1 Satz 2 TierSchG darf niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Das Tierschutzgesetz schützt – anders als die Rechtsordnungen der meisten anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union – nicht nur das Wohlbefinden des Tieres, sondern auch sein Leben schlechthin. Vernünftig im Sinne dieser Regelung ist ein Grund, wenn das Verhalten gegenüber dem Tier einem schutzwürdigen Interesse dient, das unter den konkreten Umständen schwerer wiegt als das Interesse am Schutz des Tieres. Im Lichte des im Jahr 2002 in das Grundgesetz aufgenommenen Staatsziels Tierschutz beruht das Töten der männlichen Küken für sich betrachtet nach heutigen Wertvorstellungen nicht mehr auf einem vernünftigen Grund. Die Belange des Tierschutzes wiegen schwerer als das wirtschaftliche Interesse der Brutbetriebe, aus Zuchtlinien mit hoher Legeleistung nur weibliche Küken zu erhalten. Anders als Schlachttiere werden die männlichen Küken zum frühestmöglichen Zeitpunkt getötet. Ihre „Nutzlosigkeit“ steht von vornherein fest. Zweck der Erzeugung sowohl der weiblichen als auch der männlichen Küken aus Zuchtlinien mit hoher Legeleistung ist allein die Aufzucht von Legehennen. Dem Leben eines männlichen Kükens wird damit jeder Eigenwert abgesprochen. Das ist nicht vereinbar mit dem Grundgedanken des Tierschutzgesetzes, für einen Ausgleich zwischen dem Tierschutz und menschlichen Nutzungsinteressen zu sorgen.

Die bisherige Praxis wurde allerdings – ausgehend von einer damaligen Vorstellungen entsprechenden geringeren Gewichtung des Tierschutzes – jahrzehntelang hingenommen. Vor diesem Hintergrund kann von den Brutbetrieben eine sofortige Umstellung ihrer Betriebsweise nicht verlangt werden. Bereits im Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts war absehbar, dass in näherer Zukunft eine Geschlechtsbestimmung im Ei möglich sein würde. Die weitere Entwicklung hat diese Einschätzung bestätigt. Ohne eine Übergangszeit wären die Brutbetriebe gezwungen, zunächst mit hohem Aufwand eine Aufzucht der männlichen Küken zu ermöglichen, um dann voraussichtlich wenig später ein Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei einzurichten oder ihren Betrieb auf das Ausbrüten von Eiern aus verbesserten Zweinutzungslinien umzustellen. Die Vermeidung einer solchen doppelten Umstellung ist in Anbetracht der besonderen Umstände ein vernünftiger Grund für die vorübergehende Fortsetzung der bisherigen Praxis.

BVerwG 3 C 28.16 – Urteil vom 13. Juni 2019

Quelle: Bundesverwaltungsgericht

Kommentar des BMEL
Klöckner: Kükentöten ist ethisch nicht vertretbar
Statement der Bundesministerin Julia Klöckner zum heutigen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum Kükentöten

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner: „Meine Position zum Kükentöten ist schon lange klar: Ethisch ist es nicht vertretbar, diese Praxis muss so schnell wie möglich beendet werden. Mit insgesamt über acht Millionen Euro fördere ich mit meinem Ministerium daher mehrere Verfahren und Initiativen, die das zukünftig überflüssig machen. Dazu zählt die Aufzucht und Haltung männlicher Küken aus Legelinien, so genannte ‚Bruderhähne‘ oder ‚Zweinutzungshühner‘, die wir voranbringen. Sie sind auf dem Markt, der Verbraucher hat bereits heute die Wahl.

Ein Durchbruch ist vergangenes Jahr zudem mit einem Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Brut-Ei gelungen – weibliche Küken werden hier ausgebrütet, männliche nicht. Mit fünf Millionen Euro haben wir die Entwicklung gefördert, in der Praxis kommt es bereits zur Anwendung. Es ist auf dem Weg zur Serienreife, wird den Brütereien bald flächendeckend zur Verfügung stehen.

Alternativen stehen also zur Verfügung. Sie müssen aber auch rasch angewendet werden, um das Kükentöten schnellstmöglich zu beenden. Verbände und Unternehmen nehme ich hier in die Pflicht, habe die klare Erwartungen an sie, tätig zu werden. Mit Vertretern der Wissenschaft werde ich sie daher zeitnah an einen runden Tisch zusammenholen.
Miteinbezogen werden müssen aber auch die Verbraucherinnen und Verbraucher. Mit ihrer Kaufentscheidung haben sie es letztlich mit in der Hand, ob sich innovative Verfahren durchsetzen oder immer mehr Eier importiert werden.“

Quelle: BMEL

Stellungnahme des ZDG
„Kluge Entscheidung wird Realität gerecht und ist auch Auftrag: Wollen lieber heute als morgen aus dem Kükentöten aussteigen“

Das Bundesverwaltungsgericht hat heute entschieden, dass das Töten männlicher Eintagsküken tierschutzrechtlich übergangsweise noch zulässig ist. Das Gericht hat das Vorliegen eines „vernünftigen Grundes“ für das Töten der männlichen Küken und damit die Vereinbarkeit mit dem deutschen Tierschutzgesetz bejaht, bis praxisreife Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei vorliegen.

ZDG-Präsident Friedrich-Otto Ripke zu der heutigen Entscheidung:
„Wir begrüßen, dass das Bundesverwaltungsgericht die vorinstanzlichen Entscheidungen und die Auffassung der Bundesregierung bestätigt hat. Es ist eine kluge Entscheidung, die der Realität gerecht wird und der Wissenschaft Zeit gibt, die Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei erfolgreich zum Abschluss zu bringen. Wir sehen uns durch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in unserer Rechtsauffassung bestätigt, wir verstehen die Entscheidung aber auch als klaren Auftrag an alle Beteiligten, intensiv daran zu arbeiten, praxistaugliche Alternativen der In-ovo-Geschlechtsbestimmung zum Erfolg zu führen. Unser ausdrückliches Bekenntnis gilt: Wir wollen lieber heute als morgen aus dem Kükentöten aussteigen. Ohne praxistaugliche Alternativen geht das aber nicht. Es muss alles daran gesetzt werden, dass möglichst bald eine entsprechende Technik flächendeckend für alle Brütereien in Deutschland zur Verfügung steht.

Mit dieser letztinstanzlichen Entscheidung ist endlich Rechtssicherheit für die Lege-hennen-Brütereien in Deutschland geschaffen. Wir begrüßen ausdrücklich, dass damit die Zukunft der Brütereien in Deutschland gesichert ist.“

Zum Hintergrund:
Damit ein Verfahren als praxistauglich für die Gesamtheit der deutschen Brütereien anerkannt werden kann, muss es aus Sicht der Wirtschaft folgende Bedingungen erfüllen:
• flächendeckende tatsächliche Verfügbarkeit der Technik (Sortiermaschinen) für alle Brütereien bundesweit
• ausreichende Geschwindigkeit mit einer erforderlichen Sortierkapazität von etwa 100.000 Eiern am Tag
• Genauigkeit von mindestens 95 Prozent bei der Bestimmung des Geschlechts
• allenfalls geringfügig verminderte Schlupfrate der weiblichen Eier

Diese Voraussetzungen sind bei keinem der heute bekannten Analyseverfahren zur In-ovo-Geschlechtsbestimmung vollständig gegeben. Einen methodischen Ansatz bei der wissenschaftlichen Forschung zu Alternativen zum Kükentöten favorisiert die Geflügel-wirtschaft grundsätzlich nicht. Allerdings teilen wir die Sichtweise des Deutschen Tierschutzbundes, wonach die Identifizierung des Geschlechts zu einem möglichst frühen Zeitpunkt erfolgen sollte.

Die deutschen Legehennenhalter versorgen Deutschland mit einem Bestand von rund 47 Millionen Legehennen pro Jahr mit rund 14 Milliarden Konsumeiern. Bei einem Pro-Kopf-Verbrauch von 235 Eiern liegt der Selbstversorgungsgrad schon heute bei unter 69 Prozent.

Quelle: ZDG Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft e.V.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein