Sind Ziegen hilfsbereit? Neue FBN-Studie liefert Hinweise auf prosoziales Verhalten bei Nutztieren

Können Ziegen einander helfen? Eine neue Studie des Forschungsinstituts für Nutztierbiologie (FBN) in Dummerstorf in Zusammenarbeit mit Kolleg:innen von der Veterinärmedizinischen Universität Wien legt nahe, dass Ziegen prosoziale Verhaltensweisen zeigen – also bereit sind, anderen ohne direkten Eigennutzen zu helfen. Dies könnte einen wichtigen Beitrag zum Verständnis sozialer Kognition bei Nutztieren leisten.

In der im Fachjournal Royal Society Open Science veröffentlichten Studie entwickelten die Forscher:innen ein neuartiges Versuchsdesign – die sogenannte „Fake Apple Tree“-Apparatur, die vom natürlichen Kletterverhalten der Ziegen inspiriert ist. In dieser Versuchsanordnung kann eine Ziege durch Besteigen eines Podests eine Vorrichtung, den Ast des Baumes, auslösen, die einen Futterspender nach unten bewegt.

Die Ergebnisse zeigen: Ziegen interagierten signifikant häufiger mit dem Gerät, wenn es Futter für ihre Artgenossen enthielt. Zudem verharrten sie länger in der Position, in der sie nur dem Artgenossen den Zugang zum Futter ermöglichten – ohne selbst danach zu greifen. Ein solches Verhalten gilt auch bei anderen Tierarten als Hinweis auf prosoziale Motivation.

Was bedeuten diese Ergebnisse?
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Ziegen durchaus in der Lage sind, anderen zu helfen, selbst wenn sie selbst nicht direkt davon profitieren. Die Ergebnisse erweitern das bisher limitierte Feld der untersuchten Arten hinsichtlich prosozialen Verhaltens und zeigen, dass auch Nutztiere Prosozialität zeigen. Zwar zeigten nicht alle Ziegen einheitlich prosoziale Tendenzen, doch die Variation zwischen den Individuen bietet spannende Ansatzpunkte für weiterführende Untersuchungen.

„Unsere Ergebnisse legen nahe, dass prosoziale Tendenzen auch bei Nutztieren wie Ziegen auftreten, wenn man die Versuchsbedingungen an deren natürliche Verhaltensweisen anpasst. Durch die Entwicklung der ‚Fake Apple Tree‘ – Apparatur konnten wir zeigen, dass solche maßgeschneiderten Testdesigns entscheidend sein könnten, um soziale Motivationen zuverlässig zu erfassen. Dieser Ansatz bietet spannende Perspektiven, künftig prosoziales Verhalten auch bei anderen Tierarten näher zu untersuchen“, erklärt Dr. Jan Langbein, von der Arbeitsgruppe Verhalten und Tierwohl am FBN.

Warum ausgerechnet Ziegen?
Ziegen leben in sogenannten Fission-Fusion-Gesellschaften – dynamischen Sozialstrukturen, in denen sich Gruppen regelmäßig auflösen und neu zusammensetzen. Solche Systeme erfordern eine hohe soziale Anpassungsfähigkeit und bieten ideale Voraussetzungen, um Fragen nach Empathie, Kooperation und sozialem Lernen zu untersuchen. Die aktuellen Studien ergänzen die bisherige Forschung der Arbeitsgruppe „Verhalten und Tierwohl“ am FBN zu Aspekten von Lernen und Kognition von Nutztieren am Modelltier Ziege.

Quelle: Forschungsinstitut für Nutztierbiologie (FBN)

Spitzenforschung für tiergerechtes, automatisiertes Herdenmanagement

Startschuss für Exzellenzprojekt „AutoPasture“ fällt 2. Juni. Verbundpartner bringen Wissenschaft direkt auf die Weide und wollen mithilfe von Sensorik, Kameratechnik, KI und Robotik Mensch, Natur und Tier entlasten.

Am 2. Juni startet das Exzellenzprojekt „AutoPasture – Digitale Anwendungen für ein autonomes Herden- und Weidemanagement von Rindern“ mit einer feierlichen Auftaktveranstaltung im Forschungsinstitut für Nutztierbiologie (FBN) in Dummerstorf.

Projektpartner sind neben dem FBN, die Hochschule Neubrandenburg, die Universität Rostock, der Forschungsverbund M-V gGmbH sowie die Fraunhofer-Institute IGD und IGP als assoziierte Partner. Die Hochschule Stralsund ist federführend im Projekt, die Koordination obliegt Prof. Dr.-Ing. Mark Vehse. „In diesem Projekt verzahnen sich die verschiedenen Kompetenzen unserer Partner, um die Weidehaltung von Rindern durch den Einsatz digitaler Technologien tiergerechter, effizienter und nachhaltiger zu gestalten“, erklärt Prof. Vehse.

AutoPasture soll damit einen Mehrwert für die Tiere, die Natur und auch die Landwirte, die häufig Zeit- und Personalprobleme haben, darstellen. Es wird um Fragen gehen, wie strategische Beweidung dabei helfen kann, möglichst lang Futter zu sichern, Biodiversität zu fördern und unerwünschte Pflanzenarten zu kontrollieren; aber auch wie Tiere glücklicher und gesünder zusammenleben und effizient vor Prädatoren geschützt werden können. Dazu werden verschiedenste Technologien installiert und vor allem Daten gesammelt, um digitale Zwillinge der Weiden und Herden zu erschaffen. Computergestützt sollen mit vielen Daten dann Szenarien für die Rinder und Grünflächen durchgespielt und Prognosen für die zu erwartenden Reaktionen erstellt werden. Die Reallabore also die drei Testflächen sollen anvisiert eine Milchviehhaltung, eine Mutterkuhhaltung sowie die Haltung von Wasserbüffeln in Mecklenburg-Vorpommern sein.

Das Forschungsinstitut für Nutztierbiologie (FBN) bringt seine ausgewiesene Expertise in der Verhaltensforschung und digitalen Tierüberwachung ein. Mithilfe intelligenter Systeme soll das Verhalten von Rindern kontinuierlich erfasst und analysiert werden, um Stressreaktionen frühzeitig zu erkennen und Tierwohlindikatoren automatisiert zu bewerten.

„Unsere langjährige Forschung zur Verhaltensbiologie landwirtschaftlicher Nutztiere macht das FBN zu einem starken Partner im Projekt AutoPasture. Durch Methoden der digitalen Verhaltensüberwachung wollen wir frühzeitig Stressreaktionen erkennen und objektive Tierwohlindikatoren entwickeln – ein entscheidender Beitrag für eine tiergerechte, datenbasierte Weidewirtschaft“, sagt Dr. Jan Langbein, von der Arbeitsgruppe „Verhalten und Tierwohl“ am FBN.

Das interdisziplinäre Forschungsvorhaben wird im Rahmen des Landesexzellenzprogramms „Anwendungsorientierte Exzellenzforschung“ mit rund fünf Millionen Euro über vier Jahre vom Land Mecklenburg-Vorpommern gefördert.

Feierliche Auftaktveranstaltung AutoPasture
Montag, 2. Juni 2025
13 bis 15.15 Uhr im offiziellen Teil
Forschungsinstitut für Nutztierbiologie (FBN)
Wilhelm-Stahl-Allee 2, 18196 Dummerstorf

Grußworte aus Hochschule, FBN und dem Ministerium für Wissenschaft, Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten M-V Redebeiträge zu den Themenkomplexen Tier, Grünland, Technik, Big Data und KI sowie Verwertung und zu Bilddaten und der Digitalen Leitwarte

Quelle: Forschungsinstitut für Nutztierbiologie (FBN)

Klima-Schnellcheck für Schweinehalter gestartet

Wo steht mein Betrieb in Sachen Nachhaltigkeit? Wie könnte ich besser werden? Diese Fragen können sich Schweinehalter in Süddeutschland ab sofort einfach und schnell beantworten lassen: Möglich macht das ein Klima-Schnellcheck und die dazugehörige Nachhaltigkeitsbibliothek, die im Rahmen des Projekts „Süddeutsche Schweinefleischerzeugung – zukunftsorientiert, klimafreundlich, wirtschaftlich (SüdSchwein4Klima)“ in die Qualifood-Plattform für Schweinehalter integriert wurden.

Das Projekt SüdSchwein4Klima richtete seinen Fokus auf die Klimafreundlichkeit der Wertschöpfungskette der süddeutschen Schweinefleischerzeugung. Berücksichtigt wurden aber auch Wirtschaftlichkeit und Tierschutz. Als freiwillige Hilfestellung für die schweinehaltenden Betriebe wurde dafür das Nachhaltigkeitsmodul in der Informationsplattform Qualifood®, welche vom Fleischprüfring Bayern e.V. betrieben wird, geschaffen.

Das Modul besteht aus zwei Teilen: Mit dem Klima-Schnellcheck kann durch die Beantwortung von 20 – 30 kurzen Fragen schnell und einfach ermittelt werden, wo der Betrieb in Sachen Klimafreundlichkeit aktuell steht. Betrachtet werden dabei die Fütterung, Wirtschaftsdünger- und Stickstoffmanagement, Kohlenstoffspeicherung sowie die Erzeugung von Erneuerbaren Energien. In der dazugehörenden Nachhaltigkeitsbibliothek finden die Betriebe gleichzeitig Ideen und Anregungen aus über 140 Projekten, untergliedert in zehn Kategorien, für die Weiterentwicklung der Schweinehaltung. Erste Landwirte haben das Modul bereits getestet und positiv bewertet.

Um das Nachhaltigkeitsmodul nutzen zu können, loggen sich Betriebe einfach bei www.qualifood.de mit ihren bestehenden Zugangsdaten ein. Wer noch kein Benutzerkonto hat, kann sich kostenlos registrieren.

Einen Überblick, wie das Modul funktioniert und welche Vorteile es bietet, gibt ein kurzes Erklärvideo 

Beteiligte Institutionen und Partner des Projekts:
Lead Partner des Projekts ist der Schweinezuchtverband Baden-Württemberg e.V. (SZV), Koordinator ist das Bildungs- und Wissenszentrum Boxberg – Schweinehaltung, Schweinezucht – (LSZ Boxberg). Weitere Partner der Operationellen Gruppe sind der Fleischprüfring Bayern e.V., die Universität Hohenheim mit der Landesanstalt für Agrartechnik und Bioenergie, die Bodensee-Stiftung, Landesbauernverband in Baden-Württemberg e.V., der Bayerische Bauernverband KdÖR, Bioland Erzeugerring Bayern e.V., Raiffeisen Viehzentrale GmbH, Erzeugergemeinschaft Südbayern e.G., Erzeugergemeinschaft Franken-Schwaben w.V., Ringgemeinschaft Bayern e.V., UEG Hohenlohe-Franken w.V., Müller Fleisch GmbH, Süddeutsches Schweinefleischzentrum Ulm Donautal GmbH, Ulmer Fleisch GmbH, Bayerische Bauern Marketing GmbH sowie fünf landwirtschaftliche Betriebe.

Förderung der Maßnahmen:
Das Projekt wurde gefördert im Rahmen der Europäischen Innovationspartnerschaft „Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit“ (EIP-AGRI). Die Projektförderung ist eine Maßnahme des Maßnahmen- und Entwicklungsplan Ländlicher Raum Baden-Württemberg 2014 – 2020 (MEPL III). Das Projekt wurde durch das Land Baden-Württemberg und über den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des Ländlichen Raums (ELER) finanziert und Ende 2024 abgeschlossen.

Quelle: Bildungs- und Wissenszentrum Boxberg

Übergangsfrist für Tierhaltungskennzeichnung wird verlängert

Bundesländer bekommen halbes Jahr mehr Zeit für Einführung

Die Übergangsregelung zur Tierhaltungskennzeichnung wird angepasst und bis zum 1. März 2026 verlängert. Damit bekommen die Bundesländer und Lebensmittelunternehmer mehr Zeit zur Umsetzung. Die staatliche Tierhaltungskennzeichnung informiert darüber, in welcher Haltungsform die Tiere gehalten wurden, von denen das Fleisch kommt. Sie schafft Transparenz und Klarheit auf den ersten Blick. Verbraucherinnen und Verbraucher können damit eine informierte Kaufentscheidung treffen und sich bewusst zwischen verschiedenen Tierhaltungsformen entscheiden.

Dazu erklärt Bundesminister Alois Rainer: „Eine verpflichtende Tierhaltungskennzeichnung muss vom ersten Tag an einwandfrei funktionieren. Die Länder, die das Gesetz am Ende umsetzen und kontrollieren, brauchen noch etwas Zeit. Auch den Lebensmittelunternehmern wird mehr Zeit zur Umsetzung eingeräumt. Wir wollen Regelungen, die sich in der Praxis leicht umsetzen lassen und weniger Bürokratie bedeuten.“

Die Bundesregierung hat die von dem Bundesminister für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat, Alois Rainer, vorgelegte Formulierungshilfe für die Koalitionsfraktionen heute beschlossen. Der entsprechende Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Tierhaltungskennzeichnungsgesetzes soll aus der Mitte des Bundestages eingebracht werden.

Hintergrund:
Die Tierhaltungskennzeichnung unterscheidet fünf Haltungsformen: Stall, Stall+Platz, Frischluftstall, Auslauf/Weide und Bio. Sie gilt zunächst für frisches Schweinefleisch, das in Deutschland produziert wurde. Dies gilt sowohl für vorverpackte als auch für nicht vorverpackte Ware im Lebensmitteleinzelhandel, in den Fleischereifachgeschäften und im Online-Handel. Lebensmittel aus dem Ausland können freiwillig gekennzeichnet werden. Die Pflicht zur Verwendung der Tierhaltungskennzeichnung sollte ursprünglich zum 1. August 2025 greifen. Nun wird diese Frist bis zum 1. März 2026 verlängert. Eine freiwillige Kennzeichnung vor dem 1. März 2026 bleibt weiterhin möglich. Die Agrarministerkonferenz hatte eine Verlängerung der Übergangsfrist erbeten.

Quelle: Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat (BMLEH)

Durch Mücken übertragene Erkrankungen auf dem Vormarsch

Gut geschützt gegen die Blauzungenkrankheit – auf EHD vorbereiten – Impfstoffe in Rekordzeit zugelassen

Nach wenigen Fällen im Herbst 2023 hat sich die Blauzungenkrankheit (Serotyp BTV-3) 2024 bei Wiederkäuern in Deutschland stark ausgebreitet und viele Betriebe kalt erwischt. Vor allem Schafe erkrankten schwer, viele Tiere starben. Auch bei Rindern kam es zu Erkrankungen und vermehrten Abgängen. Neben zum Teil deutlichen Leistungseinbußen und klinischen Symptomen wurde vielfach auch über Aborte und Probleme mit der Fruchtbarkeit berichtet. Neben Schafen und Rindern sind auch andere Wiederkäuer und Neuweltkamele (Lamas und Alpakas) von der Blauzungenkrankheit betroffen.
Infektionsrisiko steigt saisonal

Die Übertragung des Virus durch Mücken (hier Gnitzen) bedingt eine starke Saisonalität. Diese ist gekennzeichnet durch eine Beruhigung des Infektionsgeschehens in den Wintermonaten („mückenfreie Zeit“), erneutem Beginn auf niedrigem Niveau in den ersten warmen Monaten (etwa ab Mai/Juni) und – abhängig auch von Temperaturen und Niederschlägen, die die Vermehrung der Vektoren begünstigen – dem Maximum der Infektion im Spätsommer bis in den September und Oktober hinein. Die ruhige Phase im Winter und zeitigen Frühjahr gilt es zu nutzen, um einen Impfschutz aufzubauen.

Was ist bei der Impfung zu beachten?
Eine Impfung besteht aus einer Grundimmunisierung und möglichen Auffrischungsimpfungen in für den jeweiligen Impfstoff definierten zeitlichen Abständen. Nur so wird die Wirksamkeit sichergestellt. Für die Blauzungenkrankheit empfiehlt sich – ebenso wie für andere durch Mücken übertragene Erkrankungen beispielsweise das West-Nil-Fieber beim Pferd – eine Grundimmunisierung während der mückenarmen Zeit im Winter oder Frühjahr. Soweit noch nicht erfolgt, sollte die Grundimmunisierung (in der Regel bestehend aus zwei Impfungen im Abstand von mehreren Wochen) nun zügig abgeschlossen werden. Jetzt ist auch ein guter Zeitpunkt für die Wiederholungsimpfung, um einen optimalen Schutz in den Sommermonaten zu erreichen. Auch im Vorjahr betroffene Herden sollten durch eine Impfung geschützt werden.

Generell sollten nur gesunde Tiere geimpft werden, denn nur bei diesen kann die Impfung richtig wirken. Hierzu gehört auch, dass die Tiere wurmfrei sind. Erfahrungen aus dem Blauzungengeschehen im vergangenen Jahr zeigten, dass schwer betroffene Tiere oftmals auch (hochgradig) verwurmt waren. Tiermedizinische Maßnahmen wie die Entwurmung sollten also rechtzeitig vor der Impfung durchgeführt werden.

Wichtig ist ebenfalls die rechtzeitige Impfung. Diese muss so frühzeitig erfolgen, dass möglichst vor Wiederbeginn der Gnitzen-/Mückensaison ein ausreichender Impfschutz aufgebaut werden kann. Der Körper braucht hierfür einige Zeit – in der Regel wird der volle Impfschutz erst einige Wochen nach der zweiten Impfung der Grundimmunisierung erreicht. Die Entscheidung zur Impfung sollte also getroffen werden, bevor der Erreger die eigenen Tiere erreicht hat.

Impfstoffe in Rekordzeit entwickelt und zugelassen
Die Tiergesundheitsindustrie hat seit dem Auftreten des neues Serotyps BTV-3 der Blauzungenkrankheit in kurzer Zeit drei Impfstoffe für diesen Serotyp entwickelt und bereitgestellt. In enger Abstimmung mit den Behörden wurde vom Bundeslandwirtschaftsministerium zunächst eine Impfgestattung erteilt. Mittlerweile wurden alle drei Impfstoffe im beschleunigten Verfahren zugelassen. Naturgemäß liegen dabei die Daten z.B. zur Dauer der Immunität über einen längeren Zeitraum und erforderlichen Wiederholungsimpfungen nach Abschluss der Grundimmunisierung noch nicht vor. Klare Signale für eine Impfung unterstützen die Unternehmen in der frühzeitigen Planung für ausreichende Impfstoffmengen, denn die Produktion nimmt einige Monate in Anspruch.

Schutz auch gegen die EHD
Auch für einen Impfstoff gegen eine weitere durch Mücken übertragene Erkrankung der Wiederkäuer, die Epizootische Hämorrhagische Krankheit (EHD), hat die Europäische Arzneimittelagentur EMA kürzlich ein positives Votum abgegeben. Die Europäische Kommission hat auf dieser Basis im April des Jahres die Zulassung erteilt. Auch dieser Impfstoff wurde im beschleunigten Verfahren als Zulassung unter außergewöhnlichen Umständen erteilt. Die EHD ist eine Viruserkrankung der Wild- und Hauswiederkäuer (v.a. Rinder), deren Symptome, denen der Blauzungenkrankheit sehr ähnlich sind. Sie hat sich in den vergangenen beiden Jahren von Spanien und Portugal ausgehend weiter nordwärts bis Westfrankreich ausgebreitet. Hier kommt der Impfstoff bereits zum Einsatz. Auch Belgien hat eine verpflichtende Impfung gegen die EHD beschlossen.

Quelle: Bundesverband für Tiergesundheit e.V.

TVT-Positionspapier: Zur Dringlichkeit bei Notschlachtungen

Die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz (TVT) hat ein Positionspapier zum Thema Notschlachtungen veröffentlicht. Darin wird erklärt, wann eine Notschlachtung überhaupt erfolgen darf, wie sie ablaufen muss wann andere Maßnahmen wie eine tierärztliche Behandlung, eine Euthanasie durch einen Tierarzt, eine Nottötung oder Hausschlachtung in Frage kommen. Das Papier bietet eine Checkliste für die reibungslose Organisation einer Notschlachtung:

Vorbeugend für den Fall einer Notschlachtung

• Handynummer eines amtlichen/ernannten Tierarztes vorhanden

• Schlachtbetrieb in der Nähe vorhanden (max. 2 Stunden Fahrzeit für ungekühlten Transport), der notgeschlachtete Tiere annimmt bzw. Notschlachtungen durchführt; Handynummer vorhanden; Alternative vorhanden?

• Ggf. Formular für Veterinärbescheinigung vor Ort haben (Anhang IV Kapitel 5 der Durchführungsverordnung (EU) 2020/2235)

Organisation einer Notschlachtung

1. Tierarzt anrufen: Notschlachtung gerechtfertigt? Verfügbarkeit erfragen.

2. Schlachtbetrieb anrufen: Verfügbarkeit prüfen.

3. Zeitpunkt der Notschlachtung koordinieren. Wenn nicht schnell genug umsetzbar, andere Maßnahme ergreifen (z. B. Behandlung (Schmerzmedikation), Euthanasie, Nottötung).

4. Lebensmittelketteninformation vorbereiten (Standarderklärung und Tierpass bereithalten)

Wenn ein Tier akut verunfallt bzw. verletzt ist und Schmerzen, Leiden oder Schäden erfährt, muss der Tierhalter unverzüglich Maßnahmen zur Abhilfe ergreifen (§ 4 TierSchNutztV)! Die Empfehlungen des TVT-Papiers sollte sich deshalb jeder Tierhalter wirklich zu Herzen nehmen.

Link zum Download des Positionspapiers (PDF)

Boehringer Ingelheim erhält Marktzulassung für Blauzungen-Impfstoff in Deutschland

• Der Impfstoff schützt Rinder und Schafe vor dem Blauzungenvirus Serotyp 3 (BTV-3)
• Es ist der einzige BTV-3-Impfstoff, der laut Zulassung die klinischen Symptome der Erkrankung und damit die Mortalität verhindert
• Die Anwendung des Impfstoffs wurde in Deutschland bereits im Juni 2024 gestattet
• Wirksame Strategien gegen das Blauzungenvirus sind auch weiterhin nötig

Boehringer Ingelheim, ein führender Anbieter von Präventionslösungen für Nutztiere, hat die Marktzulassung für seinen Impfstoff gegen das Blauzungenvirus Serotyp 3 gemäß Artikel 25 der EU-VO 2019/6 erhalten. Der Impfstoff von Boehringer Ingelheim wurde in nur sieben Monaten entwickelt und darf bereits seit Juni 2024 aufgrund einer Impfstoffgestattungsverordnung zur Bekämpfung des aktuellen BTV-3-Ausbruchs angewendet werden.

BTV-3 verursacht bei Schafen und Rindern schwere klinische Symptome, bei Schafen einhergehend mit erhöhter Mortalität. Neben dem erheblichen Tierleid können Ausbrüche zu erheblichen wirtschaftlichen Verlusten für Landwirte führen, den internationalen Handel beeinträchtigen und die Nahrungsmittelversorgung einschränken. Folglich ist der Bedarf an wirksamen Strategien zur Bekämpfung des Infektionsgeschehens, insbesondere durch Impfungen, nach wie vor hoch.

Bisher wurden in Deutschland mehr als 13 Millionen Impfdosenbereitgestellt, um die Ausbreitung von BTV-3 und seine verheerenden Auswirkungen einzudämmen. Der von Boehringer Ingelheim zusammen mit seinem Partner Bioveta entwickelte Impfstoff zeigt eine sehr gute Verträglichkeit und Wirksamkeit. Das nationale Referenzlabor für BTV am Friedrich-Löffler-Institut (FLI) hat dazu erste Daten veröffentlicht.1

„Unser Impfstoff schützt die Gesundheit von Schafen und Rindern und sichert damit die Lebensgrundlage derjenigen, die sich um sie kümmern. Die Zulassung unterstreicht unser Engagement, Landwirte, Tierärzte und Behörden bei der Bekämpfung von BTV-3 zu unterstützen“, sagt Barbara Umbs, Leiterin des Nutztierbereichs bei Boehringer Ingelheim. „Anzeigepflichtige Tierseuchen wie die Blauzungenkrankheit stellen nach wie vor eine erhebliche Bedrohung dar, was die Notwendigkeit langfristiger präventiver Lösungen zum Schutz unserer Nutztiere unterstreicht.“

Die Impfung als wirksame Präventionsstrategie gegen die Blauzungenkrankheit
Das Blauzungenvirus wird von winzigen Insekten namens Gnitzen (Culicoides) übertragen. Die Krankheit zeigt einen stark saisonalen Verlauf, mit zunehmendem Auftreten bei steigenden Temperaturen. Es gibt 28 verschiedene Serotypen von BTV, die nur Wiederkäuer wie z. B. Rinder und Schafe infizieren. Die Impfung von Boehringer Ingelheim gegen den Serotyp 3 schützt empfängliche Tiere vor den schmerzhaften Symptomen der Krankheit und vor Todesfällen. Experten empfehlen, die Tiere rechtzeitig vor der Flugzeit der Gnitzen mit einer Impfung zu schützen. Diese erfordert bei Schafen eine und bei Rindern zwei Injektionen im Abstand von drei Wochen.

Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie unter www.vetmedica.de

1. Friedrich-Loeffler-Institut, Serologische Studien zum Nachweis von BTV-3-Impfantikörpern – eine erste Zusammenfassung und Bewertung durch das Nationale Referenzlabor für Blauzungenkrankheit, Dezember 2024.

Quelle: Boehringer Ingelheim

„Schlupf im Stall“ versus „Schlupf in Brüterei“: Effekte des Schlupfortes und von erhöhten Plattformen auf Broiler

Eine neue Studie* untersuchte das Verhalten und die Leistung von schnell wachsenden Broilern, wobei Faktoren wie Aktivität, Körpertemperatur und Gehfähigkeit analysiert wurden. Untersucht wurden 1.600 Broiler (Ross-Genetik) in zwei Gruppen: Schlupf im Stall (On-Farm-Hatching, OH) und konventionell in der Brüterei (Hatchery-Hatching, HH).

Haltungsbedingungen und Versuchsdesign
Die Hühner wurden in zwei Umgebungen gehalten: konventionell (Kontrolle) und angereichert (mit erhöhten Plattformen). Die Aufzucht dauerte 35 Tage, wobei Körpergewicht und Körpertemperatur der Hühner regelmäßig gemessen wurden. Ebenso wurden Futteraufnahme und Futterverwertung erfasst, um die Leistung der Hühner zu bewerten. Die Untersuchungen zum Verhalten umfassten auch die Nutzung der erhöhten Plattformen.

Ergebnisse zur Schlupfrate und Qualität der Küken
• Die Schlupfrate betrug bei beiden Schlupfmethoden 96,5 % ohne signifikante Unterschiede.
• OH-Küken wogen beim Schlupf im Durchschnitt 46,7 g (weiblich) und 46,1 g (männlich), während HH-Küken 40,9 g (weiblich) und 41,3 g (männlich) wogen.
• Das Körpergewicht der Küken stieg mit dem Alter, wobei OH-Küken schwerer waren als HH-Küken.
• Die Sterblichkeit in der ersten Lebenswoche lag bei 0,3 % bis 1,0 % und war zwischen den Brutmethoden nicht signifikant unterschiedlich.
• Die Körpertemperatur war bei HH-Küken signifikant höher und stieg mit dem Alter an.
• Die Aktivität der Gruppen war in der Umgebung mit erhöhten Plattformen höher als in der Kontrollgruppe.
• Weibliche Küken waren schneller in der Zeit bis zur ersten Fortbewegung als männliche Küken (86,38 s vs. 105,83 s) Zeit.
• Die Sauberkeit des Gefieders sowie Fußballen- und Sprunggelenkserkrankungen zeigten keine signifikanten Unterschiede zwischen den Brutmethoden oder Umgebungen.

Fazit
Schlupf im Stall verbessert das Körpergewicht der Hühner über die gesamte Aufzuchtperiode, ohne die Schlupfrate negativ zu beeinflussen. Diese Broiler zeigen eine niedrigere Körpertemperatur und eine bessere Nutzung von erhöhten Plattformen, was auf ein verbessertes Wohlbefinden hinweist.

Studie*:
Julia Malchow et al. (2025): Effect of on-farm hatching and elevated platforms on behaviour and performance in fast-growing broiler chickens. Poultry Science 104

Link zur Originalstudie

Zuerst erschienen im E-Magazin „Der Hoftierarzt“ 2-25

Hitze und Landnutzung: Bienen leiden besonders

In einer neuen Studie untersuchen Forschende der Universität Würzburg die Wechselwirkungen der wichtigsten Treiber des globalen Wandels auf Insekten.

Die Zahl und Vielfalt der Insekten ist weltweit rückläufig. Studien deuten darauf hin, dass sich ihre Biomasse seit den 1970er Jahren fast halbiert hat. Zu den Hauptursachen dafür gehören der Verlust von Lebensräumen – etwa durch Landwirtschaft oder Verstädterung – und der Klimawandel.

Diese Bedrohungen sind längst bekannt. Weniger bekannt ist, wie solche Faktoren des globalen Wandels zusammenwirken und wie sich ihre Auswirkungen auf diese Weise weiter verschärfen können. So könnten beispielsweise Insekten, die ihres natürlichen Lebensraums beraubt wurden, durch höhere Temperaturen in einer neuen Umgebung noch stärker beeinträchtigt werden.

Forschende der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) haben genau diese gravierende Wechselwirkung an 179 Standorten in ganz Bayern untersucht. Die Studie ist Teil des Clusters LandKlif, das von Professor Ingolf Steffan-Dewenter im Bayerischen Klimaforschungsnetzwerk koordiniert wird. Die Ergebnisse wurden jetzt im Fachjournal Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences veröffentlicht.

Bienen sind besonders betroffen
Die Studie zeigt, dass Insekten aus verschiedenen trophischen Ebenen – die also verschiedene Rollen im Nahrungsnetz einnehmen – unterschiedlich auf die Kombination aus höheren Temperaturen und intensiverer Landnutzung reagieren. Besonders betroffen zeigten sich Bienen. Während Populationen in Wäldern gut mit der Hitze zurechtkamen, brach die Population ihrer städtischen Verwandten um 65 Prozent ein.

Wie auch uns Menschen machten den Tieren nicht nur die heißen Tage, sondern auch überdurchschnittlich warme Nächte zu schaffen. Sowohl Anzahl als auch Vielfalt der Bienen litt erheblich. „Die Tatsache, dass sich die nächtlichen Temperaturen so stark auf tagaktive Insekten auswirken, ist bedeutsam. Gerade, weil die durchschnittlichen Nachttemperaturen noch schneller steigen als die Tagestemperaturen“, erklärt die Biologin Dr. Cristina Ganuza.

Insekten, die in der Nahrungskette weiter oben stehen, kamen zwar besser mit der Hitze zurecht, hatten aber etwa in offenen landwirtschaftlichen Lebensräumen zu kämpfen. „Das kann sich negativ auf die landwirtschaftliche Produktion auswirken, da Insekten, die zur natürlichen Schädlingsbekämpfung beitragen, in ähnlicher Weise betroffen sein dürften“, so Dr. Sarah Redlich weiter.

Besser erging es den Tieren dort, wo landwirtschaftliche Nutzflächen und naturbelassene Räume nebeneinander existieren.

Drei zentrale Erkenntnisse
Die Forschenden fassen ihre Ergebnisse in drei Kernpunkten zusammen:

  1. Wärmere Tagestemperaturen führen zu einer höheren Anzahl und Vielfalt von Bienen, allerdings nur in naturbelassenen Lebensräumen wie Wäldern und Wiesen. Die Erhaltung und Schaffung zusammenhängender natürlicher Lebensräume innerhalb landwirtschaftlicher und städtischer Gebiete ist daher von großer Bedeutung.

2) Höhere Nachttemperaturen führen zu einem geringeren Bienenreichtum in allen untersuchten Lebensraumtypen. „Diese bisher unbekannte negative Auswirkung der wärmeren Nächte auf tagaktive Insekten stellt eine neue Bedrohung dar. Es braucht weitere Forschung, um die zugrunde liegenden physiologischen Mechanismen aufzudecken“, erklärt Steffan-Dewenter.

3) Der Klimawandel und die Landnutzung stehen in Wechselwirkung zueinander, wirken sich aber auf Insekten an niedrigeren oder höheren Positionen in der Nahrungskette auf unterschiedliche Weise aus. „Ihre unterschiedlichen Reaktionen könnten die Nahrungsnetze und wichtige Ökosystemfunktionen wie Schädlingsbekämpfung und Bestäubung stören“, gibt Cristina Ganuza zu bedenken.

Kooperationspartner und Finanzierung
Die JMU-Studie wurde in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität München, der Fachhochschule Weihenstephan-Triesdorf und der Universität Bayreuth durchgeführt. Gefördert wurde sie durch das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst.

Quelle: Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Veterinärmediziner:innen zwischen Berufs- und Privatleben

Die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit. Der Wunsch, beiden Lebensbereichen gerecht zu werden, ist für viele Menschen eine Belastungsprobe – bis hin zum Burn-out. Besonders anspruchsvoll ist die Work-Life-Balance in der Veterinärmedizin: Tierärzt:innen sind in der Regel von einer starken intrinsischen Motivation angetrieben, ihre tierischen Patienten bestmöglich zu betreuen. Genau das kann jedoch zu Konflikten mit dem eigenen Privatleben führen. Wie gehen Tierärzt:innen damit um, wenn Berufs- und Privatleben miteinander konfligieren? Eine aktuelle Studie der Vetmeduni liefert Einblicke.

Die Studie von Christian Dürnberger und Svenja Springer basiert auf qualitativen, halbstrukturierten Einzelinterviews mit 20 Tierärzt:innen, die sich auf Hospiz- und Palliativmedizin spezialisiert haben. Alle Interviewten verfügten über langjährige Erfahrung als Selbstständige; zudem ist die Spezialisierung unweigerlich mit unvorhersehbaren Notfällen verbunden. Insgesamt nahmen 18 Tierärztinnen und zwei Tierärzte teil.

„Ich bin nicht nur Tierärztin“
Zentrale Herausforderungen ergeben sich aus der Kollision beruflicher und privater Termine. Eine Tierärztin spricht beispielsweise von einem „Lotteriespiel“, wenn es darum geht, ob sich berufliche und private Pläne – wie ein Urlaub mit den Kindern – wie geplant umsetzen lassen. Eine Teilnehmerin beschreibt ihr Leben als ein ständiges „jonglieren (…) mit Kindern und Arbeit.“ Besondere Schwierigkeiten ergeben sich hierbei, wenn Tierbesitzer:innen „kein Verständnis dafür haben, dass ich nicht nur Tierärztin bin, sondern auch noch Mutter“, so eine Teilnehmerin. Eine essentielle Rolle kommt mit Blick auf die Dynamik zwischen Privat- und Berufsleben den Kommunikationstechnologien zu, lassen sie die Grenze doch immer mehr verschwimmen. So berichten einige Tierärzt:innen, dass sie per Handy oder Messenger-Dienst praktisch durchgehend erreichbar sind – auch nach Feierabend und an Wochenenden; und im Notfall klingelt dann das Handy.

Der Beruf kann jedoch nicht nur durch plötzliche Termine und Anrufe ins Private eindringen, sondern auch auf psychischer Ebene, beispielsweise, wenn Tierärzt:innen in ihrer Freizeit nicht „abschalten“ können, weil belastende Situationen aus ihrem Arbeitsalltag in ihnen nachhallen. „Häufig sind es nicht die Tiere, die diese belastenden Situationen hervorrufen“, erklärt Studienautor Christian Dürnberger vom MFI der Vetmeduni, „sondern die Schicksale ihrer Besitzer:innen, etwa, wenn diese in Armut leben oder einen geliebten Menschen verloren haben. In anderen Worten: Hört man den Tierärzt:innen zu, gewinnt man den Eindruck, als wissen sie so gut wie alles über ihre Kund:innen – und manchmal mehr, als sie eigentlich wissen wollen.“

Strategien, oder: „Ich mache es aus Überzeugung“
Mit Blick auf die Bewältigungsstrategien zeigt sich vor allem eines: Tierärzt:innen nehmen Abstriche in ihrem Privatleben (wie beispielsweise die ständige Erreichbarkeit) bewusst in Kauf, wenn sie überzeugt davon sind, damit im besten Interesse der Tiere zu handeln. Eine Tierärztin hält exemplarisch fest: „Wenn ich (…) ein Tier (…) ein Leben lang begleitet habe, dann möchte ich (…) nicht, dass es an seinem letzten Tag irgendwo in eine Klinik oder in eine Notpraxis muss.“ Gleichzeitig werden in den Interviews bewusste Strategien der Abgrenzung deutlich: Tierärzt:innen überlegen genau, wem sie in welcher Situation ihre Handynummer geben, halten konsequent das „Sie“ in der Kommunikation mit den Tierbesitzer:innen aufrecht und wahren stets – auch mental – eine professionelle Distanz. In einem Zitat heißt es hierzu: „Es ist ein enges Vertrauensverhältnis, […] aber wir sind nicht befreundet. Das ist ein Unterschied.“

Striktere Grenzen
Schließlich legen die Daten nahe, dass negative Erfahrungen mit mangelnder Work-Life-Balance zu strikterer Grenzziehung zwischen Berufs- und Privatleben führen. „Die hohe Identifikation mit dem Beruf birgt die Gefahr der Überforderung“, so Dürnberger. „Die Tierärzt:innen schildern, dass sie erst lernen mussten, mehr auf sich selbst zu achten.“ Eine Interviewpartnerin sagt hierzu: „Die Versuchung ist groß, wenn man was wirklich gerne macht […], dass man sich dann einfach […] übernimmt [und] 24 Stunden für den Klienten und seine Tiere da sein möchte – und das geht nicht.“ Eine Tierärztin hält fest: Es braucht „Selfcare, Selfcare, Selfcare. Wir sind auch (…) wertvoll, sonst können wir keine wertvolle Arbeit leisten.“

„Boundary work“ als Teil der Veterinärmedizin
In der Wissenschaft spricht man von „boundary work“, also von der „Grenzarbeit“ zwischen Privat- und Berufsleben. Der Begriff „Arbeit“ verdeutlicht, dass es bewusste Entscheidungen und kontinuierliche Anstrengung erfordert, die Erwartungen beider Lebensbereiche abzuwägen – eine Aufgabe, die nie endgültig abgeschlossen ist, sondern immer wieder neu bewältigt werden muss. Christian Dürnberger und Svenja Springer plädieren dafür, angehende Tierärzt:innen frühzeitig darauf vorzubereiten, dass „boundary work“ ein essentieller Bestandteil des veterinärmedizinischen Alltags ist – und genau das wird im Rahmen des Curriculums der Veterinärmedizinischen Universität Wien im Pflichtfach „Angewandte Ethik“ versucht: „Wir diskutieren mit den Studierenden, mit welchen Herausforderungen Tierärzt:innen im echten Leben tatsächlich konfrontiert sind und wie sie mit diesen Konflikten umgehen. Dazu gehören selbstverständlich auch Fragen zu den Spannungen, die zwischen Privat- und Berufsleben entstehen können.“ Vor diesem Hintergrund sehen sie weiteren Forschungsbedarf: „Unsere qualitative Studie liefert erste Einblicke. Zukünftige Untersuchungen sollten Konflikte und Strategien repräsentativ analysieren, denn gerade aus der Praxis können angehende Tierärzt:innen wichtige Impulse gewinnen.“

Grenzen ziehen, damit Berufung nicht zur Belastung wird
Die Untersuchung reiht sich in die breitere Debatte über die Herausforderungen der Work-Life-Balance ein und legt nahe, dass besonders Menschen, die sich stark mit ihrem Beruf identifizieren, Schwierigkeiten haben, klare Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben zu ziehen. Diese Grenzen entstehen nicht von selbst, sie müssen aktiv gezogen werden – und das ist ein Lernprozess, der zwar herausfordernd sein kann, aber langfristig unerlässlich für eine echte Balance ist.

Quelle: Veterinärmedizinische Universität Wien