Die Larven vieler Fischarten reagieren empfindlich auf Ozeanversauerung – das konnten Studien bereits zeigen. Hervorgerufen wird die Versauerung von großen Mengen Kohlendioxid (CO2), die von der Atmosphäre ins Meerwasser gelangen. Dieses CO2 beeinflusst aber auch das Nahrungsangebot für die Larven. Wie sich beide Effekte kombiniert auf den Fisch-Nachwuchs auswirken können, haben Forscherinnen und Forscher des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel an Heringslarven untersucht. Ihre Ergebnisse veröffentlichen sie jetzt in der internationalen Fachzeitschrift Nature Ecology and Evolution.
Kaum starten sie ins Leben, geht es für junge Fische auch schon ums Überleben. Die Jungfische müssen lernen zu fressen und Feinden zu entfliehen. Gleichzeitig sind sie in dieser Lebensphase am sensibelsten gegenüber Umweltfaktoren wie Temperatur, Sauerstoff und dem pH-Wert des Wassers. Genau diese Faktoren wandeln sich derzeit global: Temperaturen steigen und Sauerstoff geht den Meeren verloren. Außerdem gelangt immer mehr Kohlendioxid (CO2) aus der Atmosphäre ins Meerwasser, bildet dort Kohlensäure und lässt den pH-Wert sinken. Doch nicht nur direkt, auch indirekt beeinflusst zusätzliches CO2 die Überlebenschancen von Fischlarven, denn es kann auch ihr Nahrungsangebot verändern.
Forscherinnen und Forscher aus Deutschland, Schweden und Norwegen unter Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel haben jetzt anhand von Heringslarven erstmals untersucht, wie sich diese beiden Effekte der Ozeanversauerung kombiniert auf das Überleben und Wachstum von diesen Jungfischen auswirken können. Wie sie heute in der internationalen Fachzeitschrift Nature Ecology and Evolution veröffentlichen, zeigten die Experimente, dass Heringe von einer durch Versauerung veränderten Nahrungskette profitieren könnten. „Möglicherweise werden sie in einem saureren Ozean der Zukunft einen Vorteil gegenüber anderen, empfindlicheren Arten haben“, sagt Dr. Michael Sswat vom GEOMAR, Erstautor der Studie.
Um die Reaktion der jungen Heringe auf Ozeanversauerung zu testen, ließ das Team sie in einem vollständigen Nahrungsnetz unter heutigen und zukünftigen CO2-Bedingungen aufwachsen. Dafür nutzte es die Kieler KOSMOS Offshore-Mesokosmen, die 2013 für einen Langzeitversuch im schwedischen Gullmarsfjord verankert waren. „Die Mesokosmen isolieren wie in einem riesigen Reagenzglas 50 Kubikmeter Meerwasser mit allen darin vorkommenden Planktonorganismen“, erklärt Prof. Dr. Ulf Riebesell vom GEOMAR, Ko-Autor der Studie. Fünf der Mesokosmen wurden mit CO2 angereichert, um Konzentrationen zu simulieren, die für das Ende des Jahrhunderts vorhergesagt werden. Fünf Mesokosmen wurden zum Vergleich bei gegenwärtigen CO2-Werten gehalten.
In den Mesokosmen mit erhöhten CO2-Konzentrationen trat die natürliche Algenblüte zwischen Februar und Juni verstärkt auf. „Dadurch vermehrte sich auch das tierische Plankton besser und von diesem erhöhten Nahrungsangebot profitierten dann die Heringslarven“, erklärt Dr. Michael Sswat. Sechs Wochen nach dem Schlupf hatten so fast 20 Prozent mehr Heringslarven unter zukünftigen als unter heutigen CO2 Bedingungen überlebt. „Dieser insgesamt positive Effekt von Ozeanversauerung auf Heringslarven war zunächst überraschend, da frühere Studien für viele andere Fischarten negative direkte Effekte von Versauerung auf das Überleben der Larven gezeigt haben“, ergänzt Dr. Catriona Clemmesen vom GEOMAR, ebenfalls Ko-Autorin der Studie.
Eine Erklärung für die überraschenden Ergebnisse bot sich in einer parallelen Laborstudie, welche zeigte, dass Heringslarven generell widerstandsfähiger gegenüber pH-Wert-Veränderungen sind. „Geschwister der Heringslarven in den Mesokosmen wurden im Labor bei vergleichbaren CO2 Werten aufgezogen, ohne Änderungen im Futterangebot. Somit konnten wir den direkten Effekt des Kohlendioxids auf die Heringslarven von dem indirekten Einfluss über die Nahrungskette trennen“, erklärt Dr. Sswat, der auch Erstautor der Laborstudie ist, die bereits Ende Januar in der Fachzeitschrift PLOS ONE erschien.
Die Toleranz der Heringslarven gegenüber pH-Wert-Veränderungen könnte an der Lebensweise der Fische liegen. „Heringe laichen meist nahe dem Boden, wo natürlicherweise hohe CO2-Werte vorherrschen. Sie sind somit vermutlich schon besser angepasst als andere Fischarten wie z.B. der Kabeljau, der nahe der Wasseroberfläche laicht“, erklärt Dr. Clemmesen.
Wie sich das Überleben der Fischlarven und somit ganzer Bestände in der Zukunft verändert, ist also von vielen Faktoren abhängig. Zusätzlich zur Ozeanversauerung verändern auch die ansteigende Temperatur und die Überfischung die Lebensgemeinschaften im Meer weltweit und längst nicht alle dieser Folgen sind absehbar. „Veränderungen im Ökosystem sind allerdings wahrscheinlich. Deshalb ist das Risiko hoch, dass die direkten und indirekten Folgen eines ungebremsten CO2-Ausstoßes die Fischbestände insgesamt negativ beeinflussen“, fasst Ulf Riebesell zusammen.
Quelle: GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel