Treiben Städte die Evolution von Hummeln voran? Einen ersten Hinweis dafür liefern Befunde einer neuen Studie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig: Demnach sind die Insekten in Städten größer und dadurch sogar produktiver als Vertreterinnen derselben Art auf dem Land. Die Unterschiede in der Körpergröße könnten eine Folge der zunehmend zerstückelten Lebensräume in Städten sein, wie das Forschungsteam in der Fachzeitschrift „Evolutionary Applications“ schreibt.
In den letzten 200 Jahren hat sich der Lebensraum von Hummeln und anderen Insekten stark verändert: Sie leben seltener in ländlichen Regionen und auf Wiesen, sondern häufig umringt von Straßen und Betonwänden. „Städte haben für Hummeln Vor- und Nachteile: Einerseits gibt es durch private und botanische Gärten, Stadtparks und mit Blumen bestückte Balkone ein reichhaltiges Nahrungsangebot. Andererseits ist es in Städten deutlich wärmer als im Umland. Zudem entstehen durch Straßen und große Gebäude deutlich kleinere, voneinander mehr oder weniger stark getrennte Lebensräume“, sagt Dr. Panagiotis Theodorou vom Institut für Biologie der MLU, der die Studie als Wissenschaftler an der MLU und bei iDiv geleitet hat.
Das Team von Biologinnen und Biologen der MLU wollte herausfinden, ob die Verstädterung Folgen für die Evolution von Hummeln haben könnte und ob sich diese möglicherweise daran anpassen können. Dafür sammelten sie mehr als 1.800 Hummeln in neun Großstädten und deren ländlicher Umgebung. Die Arbeit konzentrierte sich auf drei in Deutschland häufig vorkommende Arten: die Steinhummel (Bombus lapidarius), die Ackerhummel (Bombus pascuorum) und die Dunkle Erdhummel (Bombus terrestris). Jede gefangene Hummel wurde vermessen. Außerdem beobachteten die Forscherinnen und Forscher an jedem der insgesamt 18 Standorte, wie oft Hummeln eigens gezüchtete und vor Ort ausgesetzte Rotkleepflanzen besuchten. Daraus wurde im Anschluss die Bestäubungsleistung berechnet. Dabei zeigte sich: „Tatsächlich waren die Hummeln aus urbanen, stärker fragmentierten Gebieten im Durchschnitt deutlich größer als ihre Artgenossinnen auf dem Land, um etwa vier Prozent“, sagt die Biologin Dr. Antonella Soro von der MLU. Die Ergebnisse waren für alle drei Hummelarten gleich.
Die Körpergröße steht im Zusammenhang mit dem Stoffwechsel eines Organismus und ist auch ein Indikator für Lebensdauer und Leistungsfähigkeit von Lebewesen. „Größere Hummeln können besser sehen, besser lernen und haben ein größeres Erinnerungsvermögen. Sie werden auch seltener von Fressfeinden attackiert und können weitere Distanzen zurücklegen. Das bedeutet, dass sie pro Flug mehr Blumen anfliegen können, mehr Pollen transportieren und so bessere Bestäuber sind“, sagt Soro. Das haben auch die weiteren Analysen der Forscherinnen und Forscher bestätigt. Die Studie gebe einen ersten Hinweis darauf, dass vor allem der Grad der Fragmentierung des Lebensraums einen Einfluss auf die Körpergröße und damit auch indirekt auf die Bestäubungsleistung von Hummeln haben könnte. Generell wisse man aber noch zu wenig über die Auswirkungen von Umweltveränderungen in Städten auf individuelle Hummel- und Bienenarten und ihre Bestäubungsleistung, so die Wissenschaftlerin. Das Team plädiert deshalb dafür, die evolutionären Anpassungen von Tieren an ihr städtisches Umfeld noch besser zu erforschen. Das könne auch eine bessere Stadtplanung ermöglichen, die die Natur stärker berücksichtigt.
Die Arbeit wurde über iDiv von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Quelle: Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg