Künstliche Intelligenz (KI) stand im Fokus der diesjährigen Frühjahrsveranstaltung des Bundesverbandes für Tiergesundheit e.V. (BfT), die am 16.05.2024 in Hannover stattfand. Die unterschiedlichen Blickwinkel und Diskussionen ergaben einen gemeinsamen Konsens: Künstliche Intelligenz ist ein Werkzeug mit viel Potential. Sorgfältig angewandt und mit Bewusstsein für die Grenzen der Technologie bieten die Kapazitäten zur komplexen Datenanalyse große Chancen insbesondere die Diagnostik und Prävention auch in der Tiermedizin entscheidend fortzuentwickeln. KI kann nicht nur im medizinischen Alltag bei der Entscheidungsfindung unterstützen. Die Festlegung und Anordnung der eigentlichen therapeutische Maßnahme obliegt weiterhin dem Arzt, genauso wie die Entscheidung, ein Tierarzneimittel für den Markt zu entwickeln, nur durch den Unternehmer getroffen werden kann.
Unter dem Titel „Tiergesundheit: Mit KI zum nächsten Level“ stellten die fachkundigen Referenten in drei Impulsen die Künstliche Intelligenz und ihre Möglichkeiten im Leben der Menschen, in der pharmazeutischen Forschung sowie für die Anwendung in der Veterinärmedizin vor.
KI-basierte Systeme finden schon seit Jahrzehnten Einsatz im Alltag, sei es bei der Wettervorhersage oder der Fahrzeugentwicklung. Auch in der Tiermedizin findet Künstliche Intelligenz vermehrt den Weg von der (Er-)Forschung in die Praxis. So unterstützt KI beispielsweise bereits erfolgreich bei der Auswertung von Röntgen- und Ultraschallaufnahmen, dem Monitoring physiologischer Funktionen oder des Tierverhaltens und bei der Datenanalyse. Dies ermöglicht es, gesundheitliche Probleme der Tiere frühzeitig zu erkennen, geeignete Behandlungspläne zu entwickeln oder die Fütterung und das Stallmanagement zu optimieren.
Professor Klaus Osterrieder, Präsident der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo), hob in seinem Grußwort die Bedeutung von KI für alle Bereiche der Tiermedizin hervor und verwies gleichzeitig auf die Notwendigkeit einer sorgfältigen Handhabung.
Künstlichen Intelligenz: Gekommen, um zu bleiben
Patrick Ratheiser, CEO und Co-Founder von Leftshift One, betonte, dass KI gekommen sei, um zu bleiben. Er wies darauf hin, dass nur 12% der Unternehmen weltweit KI nutzen. KI könne, so Ratheiser, viele Aufgaben übernehmen und in Arbeitsprozessen unterstützen, aber nicht den menschlichen Verstand ersetzen. „Künstliche Intelligenz hat im Jahr 2022 dreimal mehr Arbeitsplätze geschaffen als sie übernehmen konnte“, betonte Ratheiser. Beispiele aus der Praxis zeigen, wie KI in der Tiergesundheit eingesetzt werden kann, um etwa Krankheiten frühzeitig zu erkennen und individuelle Ernährungspläne für Hunde und Katzen zu erstellen.
Nicht klüger, aber schneller lernend als der Mensch
Dr. Narges Ahmidi, Expertin in KI-gesteuerter Gesundheitsfürsorge, zeigte auf, dass KI bereits heute in vielen Bereichen der Medizin eingesetzt wird, wie zum Beispiel in der Zahnmedizin, der Rekonstruktionschirurgie, zur Unterstützung in der Intensivmedizin sowie einer Vielzahl von diagnostischen Anwendungen wie beispielsweise der Tumorerkennung.
Sie betonte insbesondere den Vorteil der KI in der Fähigkeit, schneller zu lernen als menschliche Ärzte. Während ein Arzt durch die Fälle, denen er in seinem Berufsleben über die Jahre begegnet, zum Experten werde, lerne die KI weitaus schneller, so Ahmidi. „Mit KI kann der Zeitpunkt, zu dem der Arzt die finale Diagnose kennt, deutlich nach vorne verlagert werden“, hob Ahmidi hervor. Diese ermöglicht große Fortschritte in der Früherkennung und eine spezifischere Behandlung von Krankheiten – weg von reaktiven hin zu präventiven Maßnahmen, sowohl im human-, als auch im tiermedizinischen Bereich.
Verbesserte Kommunikation und Interaktion
Dr. Henning Müller vom Deutschen Zentrum für Künstliche Intelligenz, Osnabrück, präsentierte praktische Anwendungen von KI in Landwirtschaft und Veterinärmedizin. Er erläuterte, wie auf seinem Familienbetrieb durch KI-Pflanzenbilder aufgenommen und ausgewertet werden, um gezielte Herbizidanwendungen und mechanische Unkrautbekämpfung zu ermöglichen. „Es ist bereits möglich, KI zu trainieren, eine Pflanze zu erkennen. Komplexer wird es jedoch, beispielsweise das Wachstumsstadium zu bestimmen,“ so Müller. Er führte aus, dass KI in der Nutztierhaltung bereits in der Zuchtsteuerung, zur Prozessoptimierung im Betrieb oder der Praxis, zur Geburtsüberwachung und Früherkennung von Krankheiten erfolgreich eingesetzt wird. Projektergebnisse zeigen, dass KI auch erfolgreich zur Früherkennung von Problemen wie dem Schwanzbeißen bei Schweinen eingesetzt werden kann. Datenanalyse durch KI könne auch den Austausch zwischen Tierarzt und Tierhalter für zielgenaue Bestandsmanagementkonzepte unterstützen. Wie in der Humanmedizin unterstütze KI auch in der Veterinärmedizin, z.B. in der Mustererkennung und Erstellung optimierte Behandlungspläne sowie darin, den wirksamsten Therapieansatz zu finden. Er hob die Bedeutung der Datenqualität beim Training der KI für die spätere sinnvolle Nutzung hervor.
Breakout-Sessions und Podiumsdiskussion
In den Breakout-Sessions diskutierten die Teilnehmenden die Erwartungen an KI in der veterinärmedizinischen Praxis, für und an die Ausbildung sowie in der Wissenschaft. Die Ergebnisse wurden in einer anschließenden Podiumsrunde zusammengefasst und beleuchtet. Die gemeinsamen Diskussionen betonten die Notwendigkeit der Vernetzung von Kompetenzen zur Entwicklung optimierter KI-basierter Anwendungen. Die Lehre ist gefordert, künftige Tiermediziner, aber auch Agrarwissenschaftler und Landwirte auf einen bewussten Umgang mit diesem kraftvollen Werkzeug vorzubereiten. Gelernt werden muss, die Grenzen jeder Anwendung einordnen zu können und Ergebnisse zu hinterfragen. Eine große Herausforderung ist, relevante Daten in guter Qualität und Menge zu erhalten. Einschränkungen durch gesetzliche Vorgaben, z.B. durch den europäischen Data Act und AI-Act, sind ebenso zu berücksichtigen wie die Bedeutung der Ethik im Umgang mit KI. Der umfangreiche Datenpool, insbesondere in der Nutztierhaltung, bietet Chancen im Zusammenwirken der veterinärmedizinischen Praxis, dem öffentlichen Veterinärwesen und der Landwirtschaft, die Gesundheit der Tierbestände zu überwachen und weiter zu verbessern. Mit KI-gestützten Plattformen könne der Zugang zu aktuellen Forschungsergebnissen und Fallstudien ermöglicht werden und die stetige Fortbildung sowie der kontinuierliche Wissensaustausch gefördert werden.
Bei allem Potential und der Vielzahl von KI-Anwendungen liegt es in der Hand des jeweils Verantwortlichen, wie Wissenschaftler, Tierarzt oder Unternehmer, festzulegen, wie diese genutzt werden. Keine Scheu, sondern Offenheit und aktives Mitgestalten seien der Weg, um das Potential auch für die Veterinärmedizin nutzbar zu machen.
Quelle: Bundesverband für Tiergesundheit e.V.