Keinen Tropfen verschwenden: Kolostrum und Transitmilch

Flaschenkalb

Von Dr. Ingrid Lorenz, Tiergesundheitsdienst Bayern

In über 200 Jahre alten Lehrbüchern der Viehwirtschaft wird bereits betont, wie wichtig es für die Gesundheit des Kalbes ist, dass es mit Kolostrum gefüttert wird. Seit ungefähr einem Jahrhundert kennen wir auch einen der Gründe dafür, nämlich die Notwendigkeit des passiven Transfers von Antikörpern aus dem Kolostrum in das Blut des Kalbes. Dennoch ist das Kolostrummanagement in fast allen untersuchten Betrieben mit Kälberproblemen mangelhaft. Als Kolostrum bezeichnen wir bei den Milchrassen nur das erste Gemelk der Kuh nach dem Kalben. Die weiteren Gemelke, die noch nicht die sensorischen Eigenschaften normaler Milch haben, bezeichnet man als Transitmilch. Auch diese ist für das Kalb noch wesentlich wertvoller als normale Milch. Die Empfehlung ist daher, dass alle Milch, die nach der Kalbung nicht an die Molkerei geliefert werden kann, an die Kälber verfüttert werden sollte. Eine Ausnahme bildet hier nur Milch von antibiotisch behandelten Kühen unter Wartezeit.

Warum ist Kolostrum so wichtig?
Das Kalb kommt zwar mit einem funktionsfähigen Immunsystem zur Welt, allerdings war es in der Gebärmutter gegen Krankheitserreger abgeschirmt und konnte daher noch keine spezifische Abwehr aufbauen. Im Gegensatz z.B. zum Menschen gehen bei der Kuh während der Trächtigkeit keine Immunglobuline gegen Infektionskrankheiten über das Blut auf das Kalb über. Dies liegt an der besonderen Beschaffenheit der Eihäute und bedeutet, dass das Kalb dem Keimdruck der Umgebung unmittelbar nach der Geburt zunächst schutzlos ausgesetzt ist. Die Aufnahme der Abwehrstoffe, die das Kalb schützen können, kann nur aus der Biestmilch erfolgen. Auch die herausragende Rolle der Biestmilch als erste Nahrung für das Kalb darf nicht unterschätzt werden. Biestmilch enthält nicht nur die vierfache Menge an Eiweiß im Vergleich zu normaler Milch, sondern auch die doppelte Menge an Fett. Da Kälber nahezu ohne Fett- und Energiereserven geboren werden, können sie gerade bei kalten Temperaturen ohne frühzeitige Biestmilchaufnahme rasch erfrieren.

Ungefähr in den letzten zwei Jahrzehnten sind unsere Kenntnisse über den Gehalt und die Wirkungsweise anderer im Kolostrum enthaltener Substanzen regelrecht explodiert. So sind im Kolostrum zum Beispiel Hormone und Wachstumsfaktoren in hohen Konzentrationen vorhanden. Mittlerweile weiß man, dass diese zur Entwicklung einer voll funktionsfähigen Darmschleimhaut beitragen. Insbesondere fördern sie das Wachstum der Darmzotten. Dadurch vergrößert sich die Oberfläche der Darmschleimhaut und damit die Fähigkeit, die Inhaltsstoffe der Nahrung ins Blut aufzunehmen. Durch die vermehrte Aufnahme von Nährstoffen reift auch das Hormonsystem des Kalbes, das für die Förderung des Wachstums verantwortlich ist.

Mit Hinsicht auf die Darmentwicklung ist die weitere Verfütterung von Transitmilch nach der ersten Kolostrummahlzeit besonders wichtig. Die im Kolostrum enthaltenen weißen Blutzellen wirken sowohl lokal auf die Entwicklung der Immunität im Darm, aber auch im Blut wird die Bereitstellung von Abwehrzellen nach Kolostrumaufnahme beschleunigt.

Spezielle Zuckerverbindungen (Oligosaccharide) sind dafür verantwortlich, dass sich eine gesunde Keimflora im Darm der Kälber ausbilden kann. Außerdem verhindern diese das Anheften von Krankheitserregern an die Darmwand.

Zusätzlich sind die Gehalte an Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen sehr hoch, so dass auch für diese Stoffe durch eine gute Kolostrumaufnahme die Versorgung gesichert wird. Ein gutes Kolostrummanagement kann in dieser Hinsicht weder durch kommerzielle Präparate (z.B. Kälberbooster) ersetzt noch verbessert werden.

Warum ist eine rasche Biestmilchgabe essenziell?
Die Verabreichung von Biestmilch unmittelbar nach der Geburt des Kalbes ist aus mehreren Gründen wichtig.


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