Neuweltkameliden (NWK) wie Lamas und Alpakas erfreuen sich seit Jahren auch in Deutschland zunehmender Beliebtheit. Ihre Anzahl nimmt stetig zu. Welche Herausforderungen die Haltung dieser Tiere in immer mehr neben- und hauptberuflich geführten landwirtschaftlichen Betrieben sowie in Hobbyhaltungen für die Tierhaltung, die Tiergesundheit und die amtliche Überwachung mit sich bringen, diskutierten die Teilnehmenden auf einer Fachtagung, die das FLI gemeinsam mit der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) am 30.10.2024 ausrichtete.
Ziel der Veranstaltung war es, so Prof. Dr. Christian Menge (Leiter des Instituts für molekulare Pathogenese am FLI-Standort Jena) als Ko-Organisator, den Amtstierärzten wissenschaftliche Fakten zu vermitteln, um Probleme und Risiken in den Tierhaltungen richtig zu bewerten. Hieraus könnte dann gegebenenfalls abgeschätzt und entschieden werden, ob Handlungsbedarf besteht oder ein Risiko als vernachlässigbar bewertet werden kann. Die Bestandsbetreuung durch Tierärzte vor Ort und deren Zusammenarbeit mit Amtstierärzten ist hierbei besonders wichtig.
Wie Anforderungen an eine artgerechte Tierhaltung mit NWK definiert werden können, wurde in Gestalt eines Entwurfes von Leitlinien zur Haltung und Nutzung durch Dr. Henrik Wagner und seine Kolleginnen (JustusLiebig-Universität Gießen) dargelegt. In einem Modell- und Demonstrationsvorhaben (MuD-Tierschutz-Projekt) mit dem Verein der Züchter, Halter und Freunde von Neuweltkameliden e.V. erarbeitete seine Arbeitsgruppe einen Tiergesundheitsmanagementplan, der den Betrieben auf der projekteigenen Website zusammen mit einer Checkliste zur Verfügung steht. Die Validierung einer Checkliste für den amtlichen Einsatz wurde im Verlauf der Tagung vorgestellt.
Den Schwerpunkt der Vorträge bildeten neueste Erkenntnisse zur Verbreitung von Tierseuchen- und Zoonoseerregern bei in Deutschland gehaltenen NWK. Die Untersuchungen durch Nationale Referenzlabore am FLI im Rahmen zweier Studien mit gesunden Tieren und mehrere Fallbeispiele von Einzeltiererkrankungen bzw. Ausbrüchen zeigten, dass NWK Träger von Infektionserregern sind, die auch Wiederkäuer oder Menschen befallen. Der Anteil der infizierten Tiere unterscheidet sich je nach Erreger stark. Während Alpakas und Lamas zum Beispiel empfänglich für das Vektor-übertragene Schmallenberg-Virus sind und die Seroprävalenz derzeit hoch ist, ist bislang noch kein Fall von West-Nil-Virus-Infektionen bei NWK in Deutschland festgestellt worden.
Im Hinblick auf bakterielle Krankheitserreger gab es bei den beprobten Tieren keine Anzeichen für BrucellenInfektionen. Ein anderer Aborterreger, Chlamydia abortus, wurde in einem Betrieb bei mehreren Tieren nachgewiesen. Dabei waren Chlamydien insgesamt in einem Drittel der Tiere und in fast allen untersuchten Betrieben nachweisbar. Überwiegend handelt es sich jedoch um eine neue Chlamydienart, die nach derzeitigem Kenntnisstand weder für die Tiere noch für den Menschen krankmachend ist, differentialdiagnostisch aber beachtet werden muss.
Clostridium perfringens, ein Erreger gegen den NWK häufig immunisiert werden, um Erkrankungen vorzubeugen, konnte in einigen Fällen und mit niedriger Keimzahl im Kot nachgewiesen werden. Selten wurde Clostridioides difficile, ein für Menschen potentieller Krankheitserreger, in den untersuchten Neuweltkameliden gefunden. Extrem selten wurden Salmonellen in der durchgeführten Studie nachgewiesen. Dagegen waren Shigatoxin-bildende Escherichia coli (STEC/EHEC), die schwere Durchfälle und Nierenversagen beim Menschen hervorrufen können, bei NWK häufig nachweisbar. Die Eigenschaften der gefundenen STECStämme weisen allerdings nicht auf ein besonders krankmachendes Potential hin, sondern auf eine nähere Verwandtschaft mit Stämmen, die auch bei Wiederkäuern vorkommen.
Der Erreger der Paratuberkulose (Mycobacterium avium ssp. paratuberculosis, MAP) wurde bei einer Studie mit mehrmaliger Beprobung der Tiere einmalig nachgewiesen. Berichte von klinischen Fällen deuten aber darauf hin, dass NWK in Deutschland die Infektion von anderen Wiederkäuern aufgenommen haben. Sie kann neben typischen gastrointestinalen Symptomen auch Verläufe zeigen, die denen einer Tuberkulose ähneln. Die Überprüfung der Eignung von verfügbaren Testverfahren zum Nachweis der Tuberkulose der Tiere zeigte, dass sich die Überwachung der Tuberkulosefreiheit von Beständen aufgrund der geringen Präzision der Tests als sehr schwierig gestaltet.
Der vorgestellte Fallbericht eines Ausbruchs mit Mycobacterium tuberculosis, dem Erreger der menschlichen Tuberkulose, in einem deutschen NWK-Bestand verdeutlichte, dass selbst bestätigte Ausbrüche nur schwer zu beherrschen sind, weil aufgrund der Natur der Erkrankung die frühzeitige Erkennung infizierter Tiere zu unzuverlässig erfolgt.
Maßnahmen zur Überwachung der Seuchenfreiheit und der Verhinderung der Weiterverbreitung von Tierseuchen- und Zoonoseerregern sind bei traditionellen Nutztieren seit langem etabliert. Die vorgestellten Erkenntnisse sind das Ergebnis der ersten umfassenden wissenschaftlichen Untersuchungen zum Vorkommen viraler und bakterieller Infektionserreger bei NWK in Deutschland. Obwohl die NWK nachweislich verschiedene Tierseuchen- und Zoonoseerreger in sich tragen, geht nach derzeitigem Kenntnisstand von den Tieren selbst keine höheres Infektionsrisiko als von anderen Nutztieren aus.
Da NWK häufig mit anderen empfänglichen Tierarten wie Rindern oder Schafen zusammen gehalten werden, kommt ihnen jedoch epidemiologisch in Bezug auf potentielle Krankheitserreger in Deutschland eine besondere Bedeutung zu. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf besondere Nutzungsarten, z.B. im Rahmen tiergestützter Therapie, bei denen sie in einen sehr engen Kontakt zu Menschen gebracht werden, die bisher wenig Kontakt zu Nutztieren hatten oder über eine eingeschränkte Infektionsabwehr verfügen.
In intensiven Diskussionen kamen die Teilnehmer überein, dass großer Handlungsbedarf bei der Verbesserung der Diagnostik sowie der Etablierung und Umsetzung von weiter entwickelten Hygienekonzepten besteht. Die Studienergebnisse zeigen, dass einzelne Infektionserreger durchaus bei NWK vorkommen und weiter genau beobachtet werden müssen. Ziel ist es, die derzeit günstige Situation bei NWK zu erhalten und eine Verbreitung von Tierseuchenerregern oder der Übertragung von Infektionserregern auf den Menschen vorzubeugen. Die möglichst breite Anwendung des vorgestellten Tiergesundheitsmanagementplans ist dazu ein wichtiger Schritt.
Quelle: Verein der Züchter, Halter und Freunde von Neuweltkameliden e.V.