Die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz meldet sich in einem „Offenen Brief“ an die Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner:
Sehr geehrte Frau Bundesministerin,
der Gesetzgeber hat ein Ende der betäubungslosen Ferkelkastration zum 01.01.2019 festgeschrieben und damit einen wichtigen Schritt zu mehr Tierschutz in der Schweine-haltung getan. Das war möglich, da es mit der Impfung gegen den Ebergeruch eine direkt einsetzbare, wirksame und tierschutzkonforme Alternative zur chirurgischen Kastration gibt.
Leider wird von Seiten der beteiligten Wirtschaftskreise, vom Handel und den Verarbeitern und dadurch beeinflusst auch von der Landwirtschaft, diese tierschonende, wirtschaftlich vertretbare und für die Verbraucherinnen und Verbraucher völlig ungefährliche Methode (1) abgelehnt. Stattdessen wird eine Fristverlängerung gewünscht. Das heißt, dass weiterhin Ferkel betäubungslos kastriert werden sollen, um die örtliche Betäubung (Lokalanästhesie) als sogenannten 4. Weg zu ermöglichen, die aus tierschutzfachlichen Gründen abgelehnt werden muss. Aus der Sicht des Tierschutzes ist weder die Fristverlängerung noch der 4. Weg eine akzeptable Option.
Offensichtlich soll der 4. Weg politisch durchgedrückt werden. Dabei spricht Vieles dagegen: Es existiert kein dafür zugelassenes Medikament und es muss vermutlich sogar das Tierschutzgesetz geändert werden. Diskutiert wird hier, den Begriff der „Schmerz-ausschaltung“ gegen „wirksame Schmerzminderung“ zu ersetzen. Allein diese Diskussion zeigt, dass selbst Befürworter des 4. Weges wissen, dass eben keine ausreichende Schmerzausschaltung erfolgt. Viele wissenschaftliche Untersuchungen und praktische Erfahrungen belegen dies (2).
Es steht also zu erwarten, dass zukünftig eine große Anzahl unzureichend betäubter Ferkel kastriert wird, was einen schweren Verstoß nicht nur gegen das Tierschutzrecht, sondern auch gegen die ethische Verpflichtung darstellt, schonend mit unseren Mitgeschöpfen umzugehend. Videos davon werden von Tierschutzorganisationen sicherlich nach kurzer Zeit veröffentlicht. Das wird, neben den rechtlichen Konsequenzen, zu einem weiteren – und begründeten – Imageverlust des Schweinefleisches führen und damit nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch die Verarbeiter und den Einzelhandel hart treffen.
Dass die Akzeptanz der Impfung gegen den Ebergeruch in der Bevölkerung fehle, ist durch nichts belegbar, auch der Bundesregierung liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass eine breite Masse der Verbraucher Fleisch von Tieren, bei denen die Immunokastration angewandt wurde, ablehnt (3). Die Sorge, dann würden alle für Deutschland nötigen Ferkel aus dem Ausland importiert, entbehrt der Grundlage, wenn alle geimpften Tiere vom deutschen Einzelhandel abgenommen werden.
Sehr geehrte Frau Ministerin Klöckner, aus Sorge um das Wohlergehen der Tiere, aber auch um das Image der Landwirtschaft bitten Sie die unterzeichnenden Tierärztinnen und Tierärzte der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz dem Drängen nach einer Zulassung der Lokalanästhesie und einer Fristverlängerung zu widerstehen, sich für die Impfung auszusprechen und die politischen Rahmenbedingungen für die Marktakzeptanz der Impfung zu schaffen.
Mit freundlichen Grüßen
für die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz e.V. (TVT)
Prof. Dr. Thomas Blaha (Vorsitzender der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz e.V.)
apl. Prof. Dr. Elisabeth große Beilage
Dr. Sylvia Heesen
Dr. Agnes Richter
Prof. Dr. Thomas Richter
Fußnoten
(1) Auf der Grundlage einer großen Vielzahl von wissenschaftlichen Untersuchungen bescheinigt die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA dem Fleisch von geimpften Tieren eine völlige gesundheitliche Unbedenklichkeit und in mehreren Ländern (z.B. Australien und Belgien) wird die Impfung seit fast zehn Jahren durchgeführt. Für die Ferkel bedeutet dies nur zwei weitere Injektionen mehr, die im Lichte der ohnehin zahlreichen Impfungen, die den Tieren im Interesse der Gesunderhaltung zugemutet werden, eine geringe zusätzliche Belastung sind.
(2) Wirksam könnte die Schmerzausschaltung allenfalls sein, wenn das Mittel sehr präzise zunächst in den Hodensack und dann mit einer zweiten Injektion an die Austrittsstelle des Samenstranges aus der Bauchhöhle, den sogenannten Leistenkanal, gesetzt würde. Eine Injektion lediglich in den Hoden, wie sie im Ausland teilweise angewandt wird, verursacht nach Leidig et al. (2009) und Rittershaus (2009) erhebliche Schmerzen und kommt deshalb in Deutschland nicht in Frage. Außerdem gibt es derzeit kein in Deutschland für diese Indikation zugelassenes Arzneimittel. Zusätzlich wäre noch ein Schmerzmittel zu injizieren. Ein Tierhalter, der seine 300 Sauen (eine übliche Anzahl für einen Familienbetrieb) im 3-Wochen Rhythmus managt, muss alle 3 Wochen ca. 300 männliche Ferkel kastrieren, wozu er in der Realität bisher weniger als 5 Stunden Zeit benötigt. Zur örtlichen Betäubung und zur Reduzierung des Schmerzes nach der Operation, müsste der Tierhalter zusätzlich insgesamt 1500 Injektionen äußerst präzise verabreichen. Eine so große Anzahl von Injektionen mit der nötigen Genauigkeit tierschonend und wirksam in praxisrelevanter Zeit durchzuführen ist unmöglich.
(3) Drucksache 19/2202 des Deutschen Bundestages vom 14.05.2018, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Carina Konrad, Grigorios Aggelidis, Christine Aschenberg-Dugnus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP, S. 7