Auftaktveranstaltung der „Tierärztlichen Plattform Tierschutz“

Vorbemerkung: Meldung und Kommentar soll man ja eigentlich nicht vermischen. Im folgenden Text ist dies trotzdem, hoffentlich in vertretbarem Maß, der Fall (tw).

Am vergangenen Wochenende traf sich die Prominenz der deutschen Veterinärmedizin in der Katholischen LandvolkHochschule, Oesede. Alle großen Verbände des Berufsstandes waren durch ihre Präsidenten oder Geschäftsführer vertreten, bei der ersten Veranstaltung der „Tierärztlichen Plattform für Tierschutz“. Ziel und Zweck des neuen Verbundes ist, der Tiermedizin zukünftig mediale Schlagkraft zu verleihen.

Denn, soviel wurde schon am ersten der beiden Tage belegt, Tierärzte kommen in der öffentlichen Debatte praktisch nicht zu Wort. Es fragt sie schlicht keiner, wenn es um Tierschutz, Tierhaltung und deren Zukunft geht. Ihre, durchaus vorhandenen Wortmeldungen, verhallen bisher meist ungehört.

Zunächst stellten sich die Initiatoren der TPT vor: die Bundestierärztekammer als Vertretung sämtlicher Tierärzte in Deutschland (über 40.000 Mitglieder), die DVG als wissenschaftliche Gesellschaft (über 5.600 Mitlieder), der bpt mit seinen 8.200 praktizierenden Tierärztinnen und Tierärzten, die beamteten Tierärzte des BbT (2.000 Mitglieder) und die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz (TVT, 1.300 Mitglieder).

Jedoch: all diese Verbände, mit ihren zahlreichen Fachausschüssen und Experten-Gremien, spielten   in der öffentlichen Wahrnehmung bisher kaum eine Rolle. Das ist nicht nur den Organisationen schmerzlich bewusst, es wurde ihnen auch während der Tagung bestätigt.

Christina Hucklenbroich, freie Journalistin und selbst studierte Tierärztin, zeigte mit ihrer Presseauswertung (250 Artikel in SZ und taz), dass Veterinäre in der Tagespresse vornehmlich als Randfiguren auftauchen oder als Versager. Wird über einen Unfall mit Hund oder Reh berichtet, steht höchsten lapidar im Text „es wurde ein Tierarzt gerufen“. Geht es um den Schlachthof, taucht der Veterinär fast ausschließlich im Zusammenhang mit Missständen auf. Ältere Medien-Studien zeigten Tierärzte als profitgierige Profiteure im illegalen Medikamentenhandel (1996) oder im günstigsten Fall (2005) als Heilberufler, nicht jedoch als Wissenschaftler.

Matthias Wolfschmidt, Leiter Strategie & Kampagnen bei Foodwatch, hätte viele Fragen an Deutschlands Tierärzte: nach ihren Zielen, ihrer Sicht aufs Nutztier und zu den Konflikten beim Tierschutz. Antworten via Medien konnte er jedoch keine finden. In seiner Wahrnehmung werden auch wissenschaftliche Erkenntnisse nicht aktiv kommuniziert: „die TierärtzInnen lassen ihren Willen nicht erkennen.“

 

Nicht viel besser steht der Berufsstand in der Wahrnehmung von Politikern da. Kirsten Tackmann (MdB, Die Linke) berichtete vom Tierärzte-Bild vieler ihrer Kollegen: beim Thema Antibiotika-Reduktion sei keine klare Positionierung erkennbar (hier würden eher Eigeninteressen unterstellt) und die Unabhängigkeit der Amtsveterinäre stehe zum Beispiel infrage. Es gäbe keine aktive Ansprache der Angeordneten bei konkreten Problemen und wünschenswert wäre es für die Parlamentarierin, Forschungsergebnisse allgemein verständlich zu kommunizieren.

Die Sicht der Tierethiker vorzutragen übernahm Johann Ach von der Uni Münster. Einleitend sagt er, Tierethiker stellten viel eher die richtigen Fragen, als solche selbst zu beantworten. Die Bandbreite tierethischer Positionen sei groß, grundsätzlich entscheide aber „die Empfindungsfähigkeit darüber, welche Entitäten eingeschlossen werden in den Kreis der Wesen, die Berücksichtigung finden“.

Im Verlauf seiner Ausführungen näherte er sich dann, Folie für Folie, immer mehr dem Speziezismus an, bis am Ende der Tierarzt nicht als Tierschützer, sondern als Komplize von Tierqual im Stall stand.

Wer zur Beurteilung von Handlungen am Tier allein die Sicht des Tieres zur Grundlage macht, kann aber nie im Leben schlachten. Und auch die völlig leidfreie Produktion tierischer Produkte ist in der Praxis kaum zu schaffen. Mit diesem Anspruch wird dann „ethische Ernährung“ selbst für Vegetarier zum Problem.

Christiane Bothmann (BbT) stellte eindrücklich die Grundprobleme aller Amtstierärzte dar: die nämlich kämen öffentlich nur vor, wenn etwas nicht geklappt hat – alles andere unterliege schließlich dem Datenschutz. Ihre persönliche Meinung könne mitunter erheblich abweichen von amtlichen Entscheidungen. Und Amtsveterinäre machten es eigentlich niemals irgendjemand recht, obwohl sie doch schlicht Gesetze befolgten und diese umsetzten.

Das – sollte man meinen – wäre ja noch zu ertragen, sofern man sich ein hinreichend dickes Fell zulegen kann. Aber wenn die BbT-Vizepräsidenten für Tierschutz sagt, Veterinäre im öffentlichen Dienst könnten wegen Unterbesetzung 50% ihrer Aufgaben gar nicht bewältigen und dies geschähe „wissentlich und willentlich“, bleibt einem doch erstmal die Spucke weg.

Der Kirchenfachmann Clemens Dirscherl bekannte, alle Kommissionen, Kompetenzkreise und Runden Tische hätten bisher nicht zu einem „contrat rural“ (landwirtschaftlichen Gesellschaftsvertrag) geführt. Und er beschrieb den Wandel in der Evangelischen Kirche bei Fragen zu Tierwohl und Tierschutz.

Bisher wurden drei EKD-Stellungnahmen zur Landwirtschaft veröffentlicht. Die erste Denkschrift 1968 war noch vollkommen der protestantischen Leistungsethik verpflichtet: Wachstum, Größe, genossenschaftliche Organisation standen im Vordergrund. 1984, im zweiten Positionspapier, klang das dann völlig anders: industrialisierte Landwirtschaft und Wachstum waren schlecht, die Mitgeschöpflichkeit des Tiers fehlte der Kirche, Veterinäre arbeiteten im Reparaturbetrieb der Herstellungs- und Verarbeitungskette. Bis zu Denkschrift Nr. 3 im Jahr 2003, haben sich die Positionen kaum geändert, das Stichwort Nachhaltigkeit kam höchstens noch hinzu und an der für 2019 angekündigten 4. Stellungnahme arbeitet bereits „Brot für die Welt“ mit.

Jedem der alt genug ist, sich an die Geschehnisse der Jahre zwischen 1968 und 1984 zu erinnern, ist klar: in diese Zeitspanne fielen zweistellige Tariferhöhungen, Konsumwelle, der Siegeszug des Pauschalurlaubs und schließlich dann der Aufstieg von Umweltschutz und Technik-Skepsis. Satt und zufrieden war man in den 70er Jahren geworden. Die 80er brachten dann Sinnsuche und Alltagsethik – Masslow lässt grüßen.

Die Tierärzteschaft hat (genau wie die Landwirtschaft) den Zug seitdem verpasst. Kommunikationsdefizite konnten sich kumulieren, die Themenführerschaft haben längst andere für sich reklamiert. Es ist höchste Zeit, dass Tierärzte bei einschlägigen Diskussionen ihren Platz als Experten in der vordersten Reihe einnehmen. Tierschutz muss als Kernkompetenz des Berufsstandes (wieder) erkennbar werden.

Die fünf Verbände haben deshalb ein echtes Dickschiff auf Kiel gesetzt und der Stapellauf in Oesede ist schon mal gut gelungen. Nun muss der Dampfer Fahrt aufnehmen. Kapitäne wären ja genug an Bord und ihnen ist zu wünschen, dass sie künftig beim Tierschutz mit einer Stimme sprechen: laut und vernehmlich.

Wenn dann die „Tierärztliche Plattform für Tierschutz“ so viel Talent beweist, wie Maria Dayen bei ihrer Moderation der Auftaktveranstaltung, ist ihr der Erfolg sicher. Die Landestierärztin a. D. behielt stets den Überblick, hatte die Uhr im Blick, verstand es Zwischenfrager freundlich-bestimmt aufs Thema zurückzuführen – und führte ohne jegliche Allüren durchs Programm.

Thomas Wengenroth

PS: Die Katholische LandvolkHochschule Oesede kann man als Tagungsort nur wärmstens empfehlen:  dort stimmte rundum einfach alles. Und wer ein Gruppen-Abendessen plant, sollte unbedingt Johannes Buß, den Leiter der KLVHS, überreden sich hinter den Grill zu stellen: der Diakon hat definitiv Übung!

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