Immunologische Lösungen und digitale Technologien für die Tiergesundheit: Diese beiden Themenschwerpunkte bildeten den Rahmen für den fachlich geführten Diskurs auf der Frühjahrsveranstaltung des Bundesverbands für Tiergesundheit e.V. (BfT) am 05. Mai in Berlin. Zentrale Frage der Veranstaltung: Wie kann Innovation in der Tiergesundheit für Kernanliegen der Gesellschaft zu Tierwohl oder Nachhaltigkeit ermöglicht und gefördert werden?
Die Tiergesundheitsbranche kann und wird einen wesentlichen Beitrag zu wesentlichen Kernanliegen der Gesellschaft leisten. Dass Innovation dabei unverzichtbar ist, war Konsens bei der BfT-Frühjahrsveranstaltung. Von zunehmender Bedeutung sind dabei Krankheitsvorbeuge mit Monitoring, Früherkennung und Diagnose sowie Infektionskontrolle. Aus dem breiten Spektrum wurde ein Ausschnitt zu immunologischen Lösungen und digitalen Technologien vorgestellt und dem Fortschritt entgegenstehende Hürden diskutiert.
Professor Dr. Martin Beer, Leiter des Instituts für Virusdiagnostik des Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit (Friedrich-Loeffler-Institut), charakterisierte in seinem Vortrag die innovative Impfstoffentwicklung als Domäne der Veterinärmedizin, an deren fortschrittliches Niveau die Humanmedizin aufgrund der Corona-Pandemie nunmehr anschließt. Den speziellen Anforderungen der Impfstoffprophylaxe beim Tier mit dem großen Spektrum der Erreger, verschiedenster Applikationsformen und dem Anspruch bezahlbarer Lösungen begegnet die veterinärmedizinische Forschung mit innovativen Entwicklungen. Mal könne der klassische Impfstoff mit abgetötetem Erreger der Goldstandard sein und müssten moderne Konzepte, wie etwa mRNA-Impfstoffe, die schon vor 10 Jahren z.B. gegen die aviäre Influenza in Auge gefasst wurden. noch zurückstehen, während beispielsweise die Anwendung von DNA-Vakzinen bei Fischen oder die Entwicklung von Impfungen im Ei oder Spray-Applikationen beim Geflügel in die Praxis Eingang gefunden hätten.
Mit Blick in die Zukunft beleuchtete Prof. Beer das enorme Innovationspotential, das in der Entwicklung von neuen Impfstofftechnologien steckt. Insbesondere Methoden und Erkenntnisse aus der Biotechnologie und Gentechnik öffnen neue Wege und seien nicht wegzudenken für die Immunprophylaxe. Um hier voranzuschreiten, sei ein Umdenken erforderlich das hilft, Hindernisse in der Forschung, Entwicklung und Zulassung abzubauen, so Prof. Beer. Plattformtechnologien böten bspw. heute die Chance der schnellen Anpassung bei sich wandelenden Erreger im Feld. Ein Fortschritt sei, dass dies aufgrund der neuen Tierarzneimittelgesetzgebung in den Zulassungsverfahren nun erleichtert würde. Er betonte, dass ein enger Schulterschluss zwischen den unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen nun die Antwort auf die sich – bedingt durch Klimawandel und Globalisierung – dynamisch entwickelnde Seuchenlage seien müsse. Die zielgenaue Entwicklung von Impfstoffen quasi in silico wird stets mehr Raum einnehmen. Ebenso benannte er die wichtige Rolle, die eine weltweite digitale Vernetzung, beispielsweise bei der Nachverfolgung und Eindämmung von Epidemien, spielt. Allerdings stünde nach wie vor die Analyse des Erregers zentral. Ohne die wesentliche Komponente für die Immunantwort differenzieren zu können, sei die Entwicklung eines wirksamen Impfstoffes schwierig. Hier zu nennen sei unter anderem die Schwierigkeit der ASP-Impfstoffentwicklung oder wirksamer Impfstoffe bei den komplexeren bakteriellen und parasitären Erregern. In der Seuchenbekämpfung wichtig sein außerdem, geimpfte von infizierten Tieren unterscheiden zu können, um verdeckte Ausbreitungen zu vermeiden und Handelshemmnisse zu überwinden.
Auch Dr. Reinhard Reents, Leiter der Vereinigte Informationssysteme Tierhaltung w.V. (vit) und Mitbegründer des Datentransferorganisation International Dairy Data Exchange Network GmbH (iDDEN GmbH) maß der Digitalisierung eine wichtige Rolle zu. Er veranschaulichte den Vorsprung durch Digitalisierung in der Tierhaltung und -zucht am Beispiel Milchvieh. Die standardisierte und zugleich individuelle Datenerfassung von über 100 Mio. Rindern in den Datenbanken ermöglicht ein effizientes Stall- und Bestandsmanagement. Valide Datensätze ermöglichen Rückschlüsse auf Leistungs- und Gesundheitsparameter, was in der Weiterentwicklung der Robustheit und Gesundheit der Tiere durch Steuerung der Zucht genutzt wird. Der Zuchtfortschritt konnte durch diese Maßnahmen bereits mehr als verdoppelt werden. Die Erfassung von Daten aus zum Teil konkurrierenden Organisationen in einer zentralen Datenbank ermöglicht eine hohe Datenqualität, ohne diese jedoch zu sozialisieren. Die betriebliche Eigenkontrolle kann durch ein eigens dazu entwickeltes Qualitätskontrollsystem Q-Check vereinfacht werden. Cloud-basierte Lösungen ermöglichen den Zugriff in Echtzeit und damit auch direkten Einblick für den bestandsbetreuenden Tierarzt. Wertvolle Informationen über Tierwohl und Tiergesundheit könnten daraus extrahiert werden und die Basis liefern für Maßnahmen der Nutztierstrategie. Das International Dairy Data Exchange Network ermöglicht den globalen und vor allem standardisierten Datenaustausch. Wesentliche Elemente für das Vertrauen der Landwirte in die Systeme sind der Erhalt der Datenhoheit für den einzelnen Betrieb und die Abklärung von Verfügungs- und Nutzungsberechtigungen.
Frank Cordes, gab einen praxisnahen Einblick in die erfolgreiche Etablierung modernster Technik auf seinem Milchviehbetrieb mit mehr als 700 Kühen in Norddeutschland. Er setzt in seiner Betriebspraxis auf Konzepte zur effektiven Datennutzung und -auswertung und auf Krankheitsvorbeuge u.a. mit regelmäßigen Impfungen. Diese Konzepte entwickelt und überprüft er regelmäßig in enger Zusammenarbeit mit seinem Hoftierarzt und landwirtschaftlichen Beratern.
Fortschritt möglich machen
„Das idealisierte Bild der Kuh auf der Alm ist nicht zeitgemäß. Ein moderner, nachhaltig geführter Betrieb mit Nutzung sinnvoller technologischer Lösungen kann bei optimierter ökonomischer Bilanz das Wohl der Tiere sichern, betonte Dr. Franziska Kersten, Tierärztin und SPD-Bundestagsabgeordnete, in dem den Vorträgen folgenden moderierten Austausch. Tierwohl sei ohne Berücksichtigung der Tiergesundheit nicht denkbar, so Dr. Kersten.“
Fortschritt erfordert eine hohe Veränderungs- und Kommunikationsbereitschaft aller Beteiligten. Mit einem engen Schulterschluss von Wissenschaft und Forschung und der Nutzung digitaler Vernetzung und globaler, standardisierter Datenerfassung in Echtzeit können große Schritte gemacht werden, die Tiergesundheit weiter zu verbessern. Auch in der Pandemie gilt es, die Veterinärmedizin nicht aus dem Fokus der Wissenschaft zu verlieren, um Fortschritt nicht auszubremsen. One Health-Strukturen und Netzwerke können dabei wirksam genutzt werden. Schwere Seuchenzüge lassen den Ruf nach Impfung bei der Bekämpfung lauter werden. Aktuelles Beispiel hierbei die aviäre Influenza mit hochpathogenen Stämmen (Geflügelpest) in den vergangen zwei Jahren. Das BMEL hat angekündigt, die Fragestellung der Einbindung der Impfung zur Tierseuchenbekämpfung anzugehen, sobald das neue Tiergesundheitsrecht etabliert ist.
Der BfT-Vorsitzenden Jörg Hannemann resümierte zum Abschluss der Veranstaltung, das Innovation und technologischer Fortschritt in der Tiergesundheit Antworten liefern können auf die veränderten gesellschaftlichen Erwartungen und die aktuellen Herausforderungen. Die Krankheitsvorbeuge sei ein Schlüsselfaktor für die Gesundheit und das Wohl von Haus- und Nutztieren und letztendlich Voraussetzung für nachhaltiges und verantwortungsvolles gesellschaftliches Handeln und ein Miteinander im Sinne des One Health Gedankens. Forschung und Entwicklung im Sektor fördern, Akzeptanz für neue Technologien und Vernetzung insbesondere auch bei den digitalen Optionen schaffen, seien wichtige Ansatzpunkte. Ein stabiler Rahmen mit Rechtssicherheit sei die Basis, aber erst die notwendige Flexibilität und Agilität lasse innovative Ansätze aufblühen und. müsse jetzt die gemeinsame Aufgabe von allen Partnern des Sektors sein, so Hannemann.
Quelle: Bundesverband für Tiergesundheit e.V.