In der Diskussion um die zukünftige Sauenhaltung, meldet sich die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz mit einem neuen Merkblatt zu Wort:
„Obwohl im deutschen Tierschutzgesetz neben einer angemessenen Ernährung und Pflege auch eine verhaltensgerechte Unterbringung von Tieren vorgeschrieben wird, ist z. B. die Fixierung der Sauen im sogenannten „Ferkelschutzkorb“ gesetzlich erlaubt. Gleichzeitig ist unstrittig, dass Sauen dadurch in ihrem Verhalten und Wohlbefinden stark beeinträchtigt sind. Allerdings stellt sich die Frage, wie eine „verhaltensgerechte Unterbringung“ denn genau aussehen sollte.“
Die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz e.V. (TVT) hat verschiedene wissenschaftliche Studien ausgewertet und auf dieser Basis ein Merkblatt erarbeitet, welches auf sämtliche Aspekte der Sauenhaltung und Ferkelproduktion eingeht. Prof Thomas Blaha, Vorsitzender der TVT, erklärt dazu: „Mit diesem Merkblatt fordern wir wissenschaftlich fundiert eine tiergerechtere Sauenhaltung. Die Verbesserung der Lebensbedingungen der Tiere wie beispielsweise das Abferkeln ohne Fixierung oder die Gruppenhaltung im Deckzentrum sind praktisch umsetzbar, unser Merkblatt zeigt auf, worauf dabei geachtet werden muss.“
Als Hintergrundinformation und zum besseren Verständnis bietet das Merkblatt einen kurzen Überblick über das natürliche Verhalten und die Bedürfnisse von Schweinen. Thematisiert werden auch die grundsätzlichen Anforderungen an das Stallklima, also Temperatur, Schadgase und Licht.
In einzelnen Kapiteln des Merkblattes wird die verhaltensgerechte Unterbringung in den verschiedenen Produktionsabschnitten genau beschrieben.
Tiergerechte Gruppenhaltung im Deckzentrum
Die Ergebnisse von Studien und Praxiserfahrungen von Betrieben, die bereits die Gruppenhaltung im Besamungsstall praktizieren, zeigen, dass dies möglich ist. Aufgezeigt werden die Maßnahmen beim Stallbau und Management, um die entsprechenden Voraussetzungen für die Gruppenhaltung zu schaffen.
Unterbringung im Wartestall
Detailliert wird erklärt, welches Beschäftigungsmaterial sinnvoll ist, wie die artgerechte Ernährung und die Strukturierung des Stalles aussehen sollte.
Bewegungsbuchten statt „Ferkelschutzkorb“ im Abferkelstall
Die TVT fordert schon länger das freie Abferkeln in Bewegungsbuchten statt der Fixierung der Sauen im „Ferkelschutzkorb“. Da viele Tierhalter beim freien Abferkeln hohe Saugferkelverluste befürchten, wird speziell darauf eingegangen, wie diese in Bewegungsbuchten sogar verringert werden können, und es wird erläutert, dass diese Haltungsform auch nicht unbedingt deutlich teurer sein muss.
Jungsaueneingliederung und Zyklussteuerung ohne PMSG
Das Merkblatt geht auf tiergesundheitliche Aspekte, die Gestaltung des Eingliederungsstalles und das Management der künstlichen Besamung und Zyklussteuerung ein. Bei der Zyklussteuerung werden auch Alternativen zum Einsatz von PMSG aufzeigt. Die TVT empfiehlt, derzeit auf den Einsatz von PMSG zu verzichten, da es bei der PMSG-Gewinnung von tragenden Stuten vielfach zu großen Belastungen und tierschutzrelevanten Mängeln gekommen ist.
Auch zum Thema „Tierschutzindikatoren“ gibt das Merkblatt Hilfestellung. Diese müssen von den Haltern seit 2014 erhoben und bewertet werden, um eine Einschätzung des Wohlergehens der Tiere zu ermöglichen. Der Gesetzgeber hat die Indikatoren allerdings noch nicht konkretisiert, die TVT nennt im Merkblatt die wichtigsten Indikatoren für Sauen und Saugferkel, die in der Praxis mit geringem Aufwand erfassbar, aussagekräftig, objektiv und aufgrund der Forschungsergebnisse sinnvoll sind. Bei den Sauen gehören dazu neben den allgemeinen Kennzahlen wie Antibiotika-Therapieindex oder Umrauschqote beispielsweise auch die tierbezogenen Indikatoren wie Kotkonsistenz und Vulvaverletzungen. Bei den Saugferkeln ist neben den Saugferkelverlusten und der Anzahl der notgetöteten Ferkel auch die Erhebung von Lefzen-/Nasenbeißen wichtig. Wichtig ist aber, laut TVT, dass die betriebliche Eigenkontrolle erst dann zu einer Verbesserung des Befindens der Tiere führt, wenn über einen längeren Zeitraum standardisierte Merkmale erhoben, verglichen und bei Abweichungen die Ursachen ermittelt und schnellst möglich abgestellt werden.
Das TVT-Merkblatt Nr. 95 „Eckpunkte einer tiergerechten Sauenhaltung“ finden Sie, wie alle Merkblätter der TVT, auf der Website unter Veröffentlichungen.
Quelle : Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz e.V.
Hier einige wichtige Punkte aus dem TVT-Merkblatt:
Gruppenhaltung im Deckzentrum
Platzangebot mind. 5 m² pro Sau, Zwischenwände oder Strohballen hinter denen sich rangniedere Sauen verstecken können.
Damit die Sauen sich gegenseitig aus dem Weg gehen können, sollte der Gang mindestens 2,80-3,00 m breit sein.
In Einzelfällen kann es allerdings notwendig sein, Sauen, die ein sehr ausgeprägtes Aufspringverhalten zeigen und damit andere Sauen verletzten könnten, während der Rausche für einzelne Tage zu isolieren.
Gruppenhaltung im Wartestall
Das Tier-Fressplatzverhältnis sollte 1:1 betragen. Ganz allgemein: sattgefütterte Sauen sind ruhiger.
Setzt man Komponenten wie z.B. Stroh, Heu oder rohfaserreiche und strukturreiche Silage ein, und bietet dies so (bodennah) an, dass die Tiere beim Fressen zusätzlich ihr Wühlbedürfnis befriedigen können, ist neben dem sättigenden Effekt auch noch für eine arttypische und länger andauernde Beschäftigung gesorgt.
Klare Struktur der Bucht in Fress-, Liege-, Aktivitäts- und Kotbereich, um eine Verschmutzung des Futters zu vermeiden.
Auf einer gesonderten, z.B. planen Fläche im Fress- oder Aktivitätsbereich, ist wühlbares Material anzubieten, um den Sauen die Möglichkeit zu geben, ihrem Bedürfnis nach Wühlen (Exploration) nachzugehen. Besonders attraktiv ist dies für die Sauen, wenn sie dabei auch ein schmackhaftes und fressbares Material suchen und finden können, wie z.B. Maiskörner in einer (dünnen) Schicht Stroh. Die Attraktivität ist bei häufiger Vorlage kleiner Mengen höher, da die Tiere immer wieder zum Wühlen animiert werden und das angebotene Material den Stallgeruch noch nicht angenommen hat.
Gruppenhaltung im Abferkelstall
Mindestens 4 Wochen lange Säugezeit ist empfehlenswert.
Maßnahmen in den Bereichen Stallbau, Management und Zucht sind nötig, um der Gefahr höherer Erdrückungsverluste entgegenzuwirken. Gelingen diese Maßnahmen unterscheiden sich die Gesamtferkelverluste während der Säugezeit zwischen Haltungssystemen mit freien Abferkelbuchten (12,1%) und Kastenstandsystemen (12,1%) nicht, auch wenn in freien Abferkelbuchten mehr Ferkel (5,5%) erdrückt werden als in Betrieben mit Kastenständen (4,5%). Untersuchungen von Weber et al. (2006) ergaben sogar, dass die „sonstigen Verluste“ mit 6,6% in freien Abferkelbuchten signifikant geringer waren als in Betrieben mit Kastenständen (7,6%). Auch die Erfahrung aus Ländern in denen die 6,5m2 freien Abferkelungen in Buchten von mindestens Standard ist, wie zum Beispiel Norwegen zeigen, dass die Saugferkelverluste dort geringer als in Deutschland ausfallen (Ingris Arsstatistikk 2016; Schweinereport Schleswig Holstein 2016; Schweinereport Baden-Württemberg 2016, VzF).
Bei Sauen, die frei abferkeln sollen, muss zusätzlich auf gute Mütterlichkeit, funktionierende Sau-Ferkel-Kommunikation, stabiles Fundament und geringes Aggressionspotential gegenüber Betreuungspersonen selektiert werden. Diese züchterischen Merkmale sind in Zukunft mehr in den Vordergrund zu stellen.
Die Ferkel müssen mit hohen Geburtsgewichten und einer guten Vitalität ausgestattet sein, was die Überlebenschancen bei freier Abferkelung erheblich fördert
Damit die Funktionsbereiche Ruhen, Säugen, Fressen und Koten von der Sau eingehalten werden können und die Sau ungehindert aufstehen und abliegen kann, muss die Abferkelbucht eine Gesamtfläche von mindestens 7,0-8,0 m² aufweisen (Busch, 2006; Herrle, 2017; IGN, 2012; Richter, 2011). Werden diese Maße unterschritten, kann es zum Schutz der Ferkel im Einzelfall sinnvoll sein, die Sau vorübergehend für wenige Tage nach der Geburt zu fixieren.
Das Management und Handling von frei abferkelnden Sauen stellt andere Anforderungen an die Fähigkeiten der Tierhalter/-betreuer, als die Abferkelung in Kastenständen. Der Betreuungsaufwand bei der Geburt und in den ersten Lebenstagen ist höher und es müssen Gesundheits- und Verhaltensprobleme bei der Sau rechtzeitig erkannt werden. Eine qualifizierte Tierbetreuung ist einer der Schlüsselfaktoren bei Systemen in denen die Sauen frei abferkeln. Die Arbeitssicherheit für das Personal kann dabei durch ein vom Gang aus zu erreichendes absperrbares Ferkelnest gewährleistet werden
Die ökonomischen Konsequenzen sind nicht so gravierend, da zum Beispiel der kostenträchtige perforierte und unterkellerte Bereich kleiner ausfällt wenn eine Trennung von nicht perforierten Liegeplatz und perforierten Kotplatz erfolgt und der Kastenstand wegfällt (Richter, 2014). Zusätzlich gibt es Beispiele, die auf eine bessere Tiergesundheit in dem System ohne Fixierung hindeuten, was die Kosten für den höheren Platzbedarf weiter ausgleichen kann (IGN, 2012).