Der Vortrag von Prof. Dr. Marina von Keyserlingk (University of British Columbia, Vancouver Canada) war ein echtes Highlight der “Expertise 2018”. Unter dem Titel „Milchkühen ein angemessen gutes Leben bieten“ (Providing assurance that cattle have a reasonably good life), stellte Sie Befragungs- und Forschungsergebnisse aus Kanada vor.
“Verändert Wissen über Landwirtschaft, die Akzeptanz der Nutztierhaltung?“, wollten die kanadischen Forscher mithilfe einer Verbraucherbefragung klären. Zunächst stellten Sie einer Gruppe von 50 Bewohnern der Großstadt Vancouver Fragen wie: Muss eine Milchkuh ein Kalb haben, um Milch zu produzieren? Werden Milchkühe in British Columbia üblicherweise im Anbindestall gehalten? Haben Sie Zugang zu einer Weide? Wie lange bleibt ein Kalb nach der Geburt bei seiner Mutter? Wie werden Milchkühe normalerweise gefüttert? Mit a) Milch, b) Gras, c) vorgemischtem Futter.
Zusätzlich wurde gefragt, welche grundsätzlichen Bedenken die Städter in Bezug auf Milchviehhaltung haben. Am häufigsten wurden Zweifel an der Futterqualität geäußert, fehlender Weidegang und Einschränkungen des Verhaltens befürchtet sowie Misshandlungen vermutet. Letzteres ist offensichtlich auf Undercover-Videos von Tierschützern/Tierrechtlern zurückzuführen. Auf die generelle Frage, ob Milchkühe ein gutes Leben haben, antworteten 42% mit Ja, 30% waren neutral und 28% nicht davon überzeugt.
Nach dieser ersten Fragerunde machten die Probanden einen Rundgang durch die Uni-Farm (270 Kühe, 11.000 kg Jahresdurchschnittsleistung) und wurden ausführlich informiert über
– Kälber-Management
– Kanadische Richtlinien zur Versorgung der Tiere
– den typischen „Tag im Leben einer Milchkuh“
– Kuhgesundheit
– Fütterung
– Fortpflanzung
– und allgemeines Verhalten.
Anschließend konnten 4 von 5 Teilnehmern die anfänglich gestellten Fragen korrekt beantworten!
Einige hatten nach dem Betriebsbesuch eine positivere Meinung, z. B. was Betreuung und Fürsorge betrifft. Andere hatten neue Probleme entdeckt oder fühlten sich in ihren Bedenken bestärkt, vor allem in den Punkten Kuh-Kalb-Trennung, fehlendem Weidegang, Platzangebot und Hygiene.
Die Frage „Wie überzeugt sind Sie, dass Milchkühe ein gutes Leben haben?“ beantworteten nach dem fachlichen Input 24% mit überzeugt, 44% neutral und 32% mit nicht überzeugt (s. Grafik oben). 90,4% der Städter forderten für Kühe Zugang zur Weide.
In einem anderen Test wurden nun die Kühe selbst „befragt“. In einem Wahlversuch wurde einer Milchviehherde jederzeit Weidegang angeboten und die Tiere gingen auch tatsächlich nach draußen – aber vor allem nachts. Tagsüber war es den Kühen im Freien zu warm (23 Grad) und erst ab 17 Uhr, wenn es kühler wurde, gingen sie langsam ins Freie.
Im nächsten Teil des Wahlversuchs mussten die Kühe selbst ein Tor durch Druck öffnen, um auf die Weide zu gelangen. Der Widerstand wurde dabei schrittweise erhöht: mussten die Tiere sich anfänglich nur gegen 14 kg stemmen, waren es am Ende 70 kg. Und siehe da: je stärker sich die Kühe anstrengen mussten, desto mehr verging ihnen die Lust auf Weidegang. In einem weiteren Schritt wurde den Tieren dann der Zugang zu frischer TMR nach dem Melken schrittweise erschwert. Wieder mussten sie steigende Gewichte weg-drücken und auch hier nahm das Interesse an der TMR mit wachsender Anstrengung und in gleichem Maße ab.
Besonders interessant waren schließlich von Keyserlingks Ausführungen zum Thema Kuh-/Kalb-Trennung. Hier verwies die Professorin auf die Arbeit von Ventura et. al. (2013), für die verschiedene Gruppen befragt wurden, ob Kühe und Kälber innerhalb weniger Stunden nach der Geburt getrennt werden sollen. Erwartungsgemäß waren Tierrechtler und Laien mehrheitlich dagegen, Studierende überwiegend und Tierärzte zu 100% dafür.
Überraschend ist jedoch das Ergebnis bei den Landwirten: 30% glauben, dass eine frühe Trennung eigentlich nicht gut ist (praktizieren sie aber trotzdem). Hier merkte die Wissenschaftlerin an, das es zwar Studien zu den Auswirkungen einer frühen Trennung bei Primaten gebe, analoge wissenschaftliche Untersuchungen bei Kuh und Kalb aber ebenso fehlten, wie solche zur bestens Variante der Gruppenhaltung von Kälbern.
Ihre wichtigste „Take Home Message“ lautete: „Wissenschaft spielt eine wichtige Rolle bei der Politikberatung, aber Praktiken, die mit gesellschaftlichen Werten im Einklang stehen, werden auf lange Sicht wahrscheinlich nachhaltiger sein.“
Vielleicht sollten alle Landwirte, nicht nur Milchviehhalter, diesen Satz auf sich wirken lassen.
Hintergrund „Expertise 2018“:
Auf Einladung der MSD Tiergesundheit hatten 600 Teilnehmer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz Ende Oktober über zwei Tage Gelegenheit aus Vorträgen von 38 Referenten aus dem In- und Ausland zu wählen. Drei Themenblöcke (Rind, Schwein, allgemeine Themen) wurden parallel angeboten. Eine Podiumsdiskussion, eine Poster-ausstellung mit 20 wissenschaft-liche MSD AH Veröffentlichungen aus den letzten beiden Jahren (originalveröffentlicht auf den internationalen Rinder- und Schweinekongressen) sowie eine kleine Industrieausstellung der MSD Tiergesundheit mit Beteiligung von Henke Sass Wolf, dem Hersteller von IDAL und der MSD Geflügelvakzinatoren, rundeten die Veranstaltung ab.