Sicherlich auch auf Tiere übertragbar: Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin, des Berlin Institute of Health (BIH) und des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums (DRFZ) Berlin konnten in Zusammenarbeit mit Kollegen in Mainz, Bern, Hannover und Bonn aufzeigen, wie das Mikrobiom dazu beiträgt, das Immunsystem in einen Zustand zu versetzen, der es ihm ermöglicht, schnell auf Krankheitserreger zu reagieren. Ist es abwesend, bleibt eine Freisetzung entscheidender Botenstoffe aus und der Stoffwechsel in bestimmten Zellen des Immunsystems wird nicht angeworfen. Wie das Team in der Fachzeitschrift Cell* beschreibt, fehlt dann sozusagen der Treibstoff für eine Immunantwort in den zuständigen Zellen.
Grenzflächen des Körpers zu seiner Umwelt sind Einfallstore für Krankheitserreger. Gleichzeitig sind solche Epithelien von Natur aus dicht besiedelt durch eine komplexe Ansammlung von Bakterien, Viren, Pilzen und Parasiten – das sogenannte Mikrobiom. Die permanente Interaktion mit diesen Mikroorganismen hat vermutlich im Laufe der Evolution zur Ausbildung robuster Signalnetzwerke geführt, die den Organismus schützen. Welche Rolle das Mikrobiom beim Auslösen einer Immunantwort auf schädliche Erreger einnimmt und auf welche Weise es dabei Signalwege beeinflusst, damit haben sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter der Leitung von Prof. Dr. Andreas Diefenbach, Direktor des Instituts für Mikrobiologie und Infektionsimmunologie der Charité, jetzt eingehend beschäftigt.
Wird bei einer Infektion eine Immunantwort ausgelöst, spielen sogenannte konventionelle dendritische Zellen (cDC) eine Schlüsselrolle. Sie gehören dem angeborenen Immunsystem an und sind mit einer Reihe von Mustererkennungs-Rezeptoren ausgestattet, die es ihnen ermöglichen, eindringende Erreger schnell zu erkennen. Die Zellen reagieren zunächst mit der Ausschüttung von Zytokinen – diese Botenstoffe sorgen dafür, weitere Immunzellen an die Stelle der Infektion zu locken. Gleichzeitig phagozytieren sie Krankheitserreger, das heißt, sie nehmen diese auf, zerlegen sie und präsentieren anschließend einzelne Bruchstücke als Antigene an der Zelloberfläche. Das wiederum führt zur Aktivierung von T-Zellen des adaptiven Immunsystems und somit einer gezielten Immunantwort. Eine Aktivierung von T-Zellen durch cDC, die körpereigene Antigene präsentieren, führt dagegen zu einer fehlgeleiteten, unerwünschten Immunantwort, mit der Folge von Autoimmunerkrankungen.
Das Team um Prof. Diefenbach hat jetzt herausgefunden, dass cDC unter keimfreien Bedingungen nicht in der Lage sind, Immunantworten zu starten. Die Forschenden folgern daraus, dass sie Signale im Basiszustand, also einem Zustand, in dem keine Infektion vorliegt, erhalten, die vom Mikrobiom ausgehen. Diese Signale versetzen cDC in einen Zustand der Antwortbereitschaft. „Wir wollten verstehen, welchen Einfluss das Mikrobiom kontinuierlich auf die cDC-Funktion nimmt“, sagt Prof. Diefenbach, der auch Einstein-Professor für Mikrobiologie ist sowie Leiter der Arbeitsgruppe Mukosale Immunologie am DRFZ. „In der aktuellen Untersuchung konnten wir nun nachweisen, dass diese speziellen Immunzellen im Basiszustand ein permanentes Typ-I-Interferon-Signal (IFN-I) erhalten, das von der Mikrobiota reguliert wird.“ Interferone sind Zytokine, also spezielle Botenstoffe, von denen bekannt ist, dass sie vor allem in der antiviralen Abwehr eine Rolle spielen. „Über die Rolle von IFN-I im Basiszustand wusste man bisher wenig. cDC, die ein solches IFN-I-Signal im Basiszustand nicht erhalten, können ihre physiologischen Funktionen in der Abwehr von Krankheitserregern nicht wahrnehmen“, erklärt der Mikrobiologe. Die Studienergebnisse legen nahe, dass das Mikrobiom die Fitness unseres Immunsystems reguliert, indem es dieses in einem „bereiten“ Zustand hält, um schnellstmöglich auf Krankheitserreger reagieren zu können.
Um der Frage näher zu kommen, auf welche Weise das vom Mikrobiom kontrollierte IFN-I im Basiszustand für die Bereitschaft von cCD sorgt, haben die Forschenden verschiedene Tiermodelle eingesetzt. Mittels RNA-Sequenzierung konnten sie das Transkriptom und Epigenom von cDC aus keimfreien Tieren, Kontrolltieren und solchen, die genetisch kein IFN-I Signal wahrnehmen konnten, vergleichen. Was also passiert auf molekularer Ebene in cDC, wenn sie dem IFN-I entzogen werden? „Interessanterweise konnten wir in den cDC von keimfreien Tieren und solchen ohne IFN-I-Signal eine geringere Expression von Genen feststellen, die an der mitochondrialen Atmungskette beteiligt sind“, beschreibt Laura Schaupp, Charité-Wissenschaftlerin und Erstautorin der Studie, die Beobachtungen. „Weitere Analysen zeigten, dass die cDC von keimfreien Tieren einen gestörten Zellstoffwechsel aufweisen und somit nicht in der Lage sind, Immunantworten zu initiieren. Den Zellen fehlte gewissermaßen der Treibstoff für eine Reaktion auf Krankheitserreger.“ Das Mikrobiom ist demnach für das Funktionieren von cDC essentiell notwendig und zwar für eine wirksame Reaktion auf bakterielle oder virale Infektionen, einschließlich der Aktivierung von T-Zell-Antworten.
Die gewonnen Erkenntnisse können Denkanstöße für die Entwicklung neuer Therapieansätze liefern. Viele Autoimmunerkrankungen, beispielsweise der Systemische Lupus Erythematosus, resultieren aus einer verstärkten IFN-I-Produktion. Andere Studien zeigten, dass die Effektivität von Checkpoint-Inhibitoren bei Krebs-Immuntherapien durch das Mikrobiom beeinflusst wird. „Diese Phänomene werden uns weiter interessieren“, sagt Prof. Diefenbach. „Lässt sich beispielsweise die Zusammensetzung des Mikrobioms so verändern, dass wir die Verfügbarkeit von IFN-I reduzieren und damit Autoimmunerkrankungen günstig beeinflussen können? Oder könnte eine positive Beeinflussung der grundlegenden IFN-I-Produktion zu einem besseren Ansprechen auf Immuntherapien gegen Krebs führen?“ Diese Fragen wird das Team in anschließenden Arbeiten beschäftigen.
Quelle: Charité – Universitätsmedizin Berlin