Wo liegen die Herausforderungen in der Geflügelhaltung? Interview mit Prof. Robby Andersson

Prof. Dr. Robby Andersson, Hochschule Osnabrück

Geflügel boomt – sowohl die Nachfrage nach Eiern als auch nach Geflügelfleisch ist seit langem ungebrochen stark. Doch die Diskussionen um Klimawandel, Tierwohl und Antibiotikareduktion machen auch vor der Geflügelhaltung nicht Halt. Welchen Herausforderungen sich die Branche aktuell stellen muss, erklärt Prof. Dr. Robby Andersson. Er ist Professor an der Hochschule Osnabrück am Lehrstuhl Tierhaltung und Produkte, Studienschwerpunkt angewandte Geflügelwissenschaften.

Herr Prof. Andersson: Einer Ihrer großen Forschungsbereiche ist die Digitalisierung. Was können wir heute im Stall alles messen und beobachten?
Wir haben in Niedersachsen das große Glück, dass wir ein großes Digitalisierungsprojekt für fünf Jahre bewilligt bekommen haben. Wir haben zwei Ebenen, die uns zentral beschäftigen: erstens gilt es die Umwelt der Tiere zu erfassen und zwar möglichst detailliert, d. h. wir messen nicht mehr nur Zu- und Abluft und dazwischen ist eine Black-Box. In verschiedenen Stallbereichen werden Schadgaskonzentrationen, vor allem NH3 und auch CO2 erfasst um dann über eine intelligente Lüftung das Stallklima entsprechend zu optimieren. Wir konzentrieren uns stark auf Ammoniak, nicht nur aufgrund politischer Forderungen, die auf Umweltwirkungen abzielen, sondern zentral auch aus Tiergesundheitsgründen.

Die zweite große Baustelle ist die berührungslose Erfassung und Beurteilung der Situation der Tiere, sprich mit Kameratechnik. Wir wollen Haltungssysteme aufgrund tierbezogener Daten erfassen und bewerten, also ein Haltungssystem nicht so bauen, wie es der Mensch für gut befindet, sondern wie es aufgrund der Informationen vom Tier zu beurteilen ist.

Hier geht es u.a. um die Bewegungsaktivität, sind die Tiere altersabhängig mehr oder weniger aktiv, es geht dabei natürlich auch um Verhaltensstörungen und deren Früherkennung. Je früher ich etwas erkenne, desto früher kann ich erfolgreich reagieren: Konkret, die Vermeidung von Federpicken, Kannibalismus und bei Puten Beschädigungspicken.

Und Sie konzentrieren sich in Ihrer Forschung auf Broiler, Hühner und Puten?
Genau, Entenhaltung ist in Deutschland ja ein bisschen schwierig zurzeit. In Ställen von Wassergeflügel sind wir im Moment gar nicht unterwegs.

Noch mal zurück zu den Messungen des Stallklima: Temperatur ist klar, NH3 haben Sie angesprochen, aber auch der CO2-Gehalt der Luft kann eine wichtige Rolle spielen.
Das ist aktuell eine ganz große Herausforderung, wenn Küken schlüpfen. Laut gesetzlicher Vorgaben sind maximal 3.000 ppm in der Stallluft erlaubt, normal sind 400 bis 500 ppm in der Zuluft. Um einen möglichst synchronen Schlupf hinzubekommen, wird die sehr kurzfristige Erhöhung der CO2-Konzentration geprüft. Man möchte so den Küken im Ei mitteilen: alle anderen Küken sind am Schlüpfen, sieh auch du zu aus dem Ei zu kommen, mal etwas platt gesagt. Und dann müssen wir natürlich mit der CO2-Konzentration sehr schnell und radikal wieder runter. Die optimalen Kurven dazu hat wohl noch keiner, aber daran wird gearbeitet.

Es gibt Unterschiede im Verhalten von Hühnern und Puten. Sind die einen einfach ruhiger und die anderen aktiver?
Man findet einige Praktiker, die viel Erfahrung mit Hühnern haben und dann davon ausgehen, eine Pute sei ein zu groß geratenes Huhn. Aber die machen vieles nicht so ganz richtig, denn die Verhaltensmuster sind sehr, sehr unterschiedlich. Sie können das Verhalten von Hühnern nur im weitesten Sinne auf Puten übertragen, aber niemals eins-zu-eins.

Puten haben eine andere Wahrnehmung als Hühner, sie sehen z.B. das Futter anders und damit sind schon viele unserer Erfahrungen vom Huhn nicht übertragbar. Auch das Lernen der Puten ist, da sie ja in anderen Zeitfenstern ihre physiologische Entwicklung durchlaufen, anders als beim Huhn.

Das Verhalten von Puten zu verstehen ist schwierig, über Hühner wissen wir dagegen recht viel. Das macht auch den Verzicht auf das Schnabelkürzen so schwer, denn wenn man das Verhalten der Pute noch nicht richtig versteht, wo will man dann anfangen zu optimieren?

Aber wenn Sie das Verhalten von Hühnern beobachten, gibt es Schwellenwerte bei denen ein Alarm ausgelöst und dem Tierhalter gleich gesagt wird, was passiert ist und an welcher Stellschraube er drehen muss?
Genau so ist das Fernziel, aber die Projekte laufen alle erst an. Wir versuchen die Datenfluten über künstliche Intelligenz zu verdichten um Hinweise zu bekommen, wo man als Erstes und wo als Letztes hingucken sollte. Wir haben manchmal Situationen, mit denen niemand rechnet: die Futterkette ist gerissen oder im Silo hängt das Futter fest oder ganze Tränkelinien funktionieren nicht, weil sich irgendwo ein Pfropfen gebildet hat. So etwas hat natürlich sofort verheerende Folgen, auch das versuchen wir über Alarmsysteme frühzeitig zu erkennen. Bei der Suche nach den Ursachen für Verhaltensstörungen denkt man leider nicht immer an die Basics, die auf jeden Fall funktionieren müssen.

Zu hohe oder niedrige Temperatur im Stall ist ja noch einfach zu erkennen und auch die Lösung ist in dem Fall einfach. Aber können Sie denn tatsächlich aus dem Verhalten der Hühner genau ableiten, wo ein Problem vorliegt, also z.B. wenn es kein Wasser gibt?
Nein, eins-zu-eins wäre toll. Verhaltensstörungen treten überwiegend im Bewegungs- und Nahrungsaufnahmeverhalten auf, die Ursachen können aber überall liegen und deswegen ist deren Identifikation extrem schwer. Wir haben nur einen Alarm und wissen, dass etwas nicht stimmt, aber dann ist das Fachwissen des Tierhalters gefragt, um zu entscheiden was er als erstes überprüft.

Können Sie ihm denn dafür eine Checkliste an die Hand geben?
Ja, davon träumen viele, wir nennen es „Kochbuch“. Aber so weit sind wir noch nicht und ich weiß auch nicht, ob es das jemals geben kann. Jeder Betrieb, jede Herde, jede Region ist anders. Der Tierhalter muss jeweils auf einen digitalen Datenpool, bzw. dessen Informationen zurückgreifen, aber angesichts der Situation im analogen Stall ist zu entscheiden, was zu tun ist.

Der intelligenteste Sensor muss also der Landwirt sein?
Ja, auf jeden Fall!

Und wo kann ich in Deutschland lernen ein guter Vogelhalter zu sein – außer bei Ihnen in Osnabrück?
Das ist mittlerweile ein riesengroßes Problem, weil wir unsere Ausbildungseinheiten alle runterfahren, auch an den Agrarfakultäten. Wir gehören, nach meiner Einschätzung, heute zu den ganz Wenigen, die in Deutschland systematisch und über alle Fachdisziplinen hinweg überhaupt eine Ausbildung im Geflügelbereich anbieten. Und das ist nicht gut.

Wenn man bedenkt, dass die Bedeutung des Geflügelfleischs z. B. stetig wächst, genau das falsche Signal.
Da ist die Politik gefragt und ich weiß nicht, warum die das nicht erkennt und nicht gezielt in Aus- und Fortbildung junger Leute investiert.

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