Interview Geflügelpest: Viruseintrag in Nutzgeflügelbestände verhindern

Dr. Christiane Mamarvar

Leider ist es wieder soweit: Das Geflügelpest-Virus ist erneut in Deutschland angekommen. Seit dem Winter 2016/2017 gab es keine nennenswerten Ausbrüche. Doch in diesem Herbst bringen infizierte Zugvögel das hochansteckende Geflügelpest-Virus mit dem Vogelzug aus dem hohen Norden in unsere Breitengrade. In Norddeutschland herrscht bereits in vielen Gebieten eine Stallpflicht. Doch wie gefährlich ist die aktuelle Lage und welche Kriterien führen zur Stallpflicht? Amtstierärztin Dr. Christiane Mamarvar aus dem Landkreis Nienburg/Weser erklärt die Hintergründe.

Frau Dr. Mamarvar, wie Ernst ist die Lage?
Sehr ernst. Im Moment sind wir hier im Norden die ersten, die den Herbst-Vogelzug verzeichnen, deshalb beginnen die Geflügelpest-Probleme zumeist im Norden entlang dieser Vogelfluglinie. Je kälter es wird und je mehr Zugvögel aus Sibirien gen Süden fliegen, wandert das Seuchengeschehen, welches sich durch eine hohe Todesrate auch bei den Wildvögeln auszeichnet, dann auch in den Süden Deutschlands. Die Zugvögel, wie z. B. Gänse, Enten und Schwäne tragen das Virus in sich und auf den Rastplätzen kommt es dann zu einer Vermischung und Übertragung auf die heimische Wildtierpopulation. Hierbei sind hauptsächlich Wasservögel wie Wildenten und Wildgänse, aber auch Aasfresser und Greifvögel betroffen. Das Virus hat eine hohe Pathogenität, sodass Wassergeflügel nicht nur als Reservoir für die Virusvermehrung dient, sondern auch erkrankt und verendet. Stärker gefährdet sind aber vor allem Hühner und Puten, aber auch Fasane, Wachteln, Perlhühner und Wildvögel.

Wie läuft die Risikobewertung ab, ist das immer gleich oder handelt jeder Landkreis auf eigene Faust?
In der Geflügelpest-Verordnung ist der Ablauf der Risikobeurteilung für alle Landkreise Deutschlands einheitlich geregelt. Für den Kreis Nienburg kann ich das Vorgehen kurz skizzieren: Das Veterinäramt kann sich beim Friedrich-Löffler-Institut, kurz FLI, über einen Radarbulletin, über die gängigen Tierseuchen wie die Afrikanische Schweinepest, Blauzunge, Maul- und Klauenseuche, der kleine Beutenkäfer, aber auch die Geflügelpest, in einer Kurzübersicht informieren. Für alle diese Seuchen erhalte ich darin vom FLI eine Risikoabschätzung nach Ampelsystem für Deutschland. Weiterhin gibt es das Tierseuchennachrichtensystem, kurz TSN, worüber melde- und anzeigepflichtige Tierseuchen mitgeteilt werden. Hier kann ich nicht nur für meinen Landkreis nachsehen, sondern auch für die anderen Bundesländer. Speziell zur Geflügelpest hatte das FLI zum 5.11. eine ganz ausführliche Risikobeurteilung abgegeben, was den Eintrag nach Deutschland und in die Nutzgeflügelbestände betrifft. Darin heißt es, dass das Risiko aufgrund des Vogelzuges hoch ist. Generell kann man sagen, dass wir immer in Alarmbereitschaft sind wenn im Herbst der Vogelzug startet.

Daraufhin hat das Niedersächsische Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz alle Landkreise aufgefordert, eine Risikobeurteilung für ihren Bereich zu erstellen. Dafür habe ich die örtlichen Gegenebenheiten beurteilt, die Nähe von Geflügelbeständen zu bestimmten Gebieten wie Wasserstellen, Feuchtbiotopen, Küstengewässer, avifaunistisch wertvolle Gebieten sowie Rastplätzen für Zugvögel. Neben der Geflügeldichte des Kreises ist dabei u.a. zu berücksichtigen, ob es bereits einen Geflügelpest-Ausbruch im Kreis oder im Nachbarlandkreis gab oder tote infizierte Wildvögel gefunden wurden. Diese Erkenntnisse fließen in die Risikobewertung ein. TSN besteht aus Karten, auf denen entsprechende Betriebe mit Geflügel, aber auch Schwein und Rind eingeblendet werden können. Das LAVES hat uns verschiedene Layer zur Verfügung gestellt, die virtuell wie Folien über unseren Landkreis gelegt werden und Feuchtgebiete anzeigt oder avifaunistisch wertvolle Bereiche sowie Schläge wie Dauergrünland, Raps, Wintergetreide und Mais. Wildvögel sind bei der Futtersuche auf diesen Flächen vermehrt anzutreffen.

Außerdem habe ich Erkenntnisse der internationalen Wasservogelzählung des NABU einbezogen: wie stark ist der Vogelzug, wo und welche Arten von Wasservögeln wurden kartiert. Befanden sich bereits Wasservögel aus Sibirien unter den beobachteten Arten. Dadurch kann ich risikoorientiert Stallpflichten anordnen für die Betriebe oder Gemeinden in der Nähe solcher Stellen.

Wann wird ein kritischer Punkt erreicht und die Stallpflicht angeordnet?
Finden wir den ersten toten Wildvogel, der eine hochpathogene Variante des Virus in sich trägt, sind wir in höchster Alarmbereitschaft. Dass würde dann in die Risikobeurteilung einfließen und eine Aufstallungspflicht für den gesamten Landkreis kann die Folge sein. Das teilen wir per Allgemeinverfügung mit. Die Begründung dafür ist, dass wir die Einschleppung des Virus durch Wildvögel in Nutztierbestände vermeiden wollen. Wenn wir zu lange warten, kann das Virus weiter in der Wildtierpopulation verschleppt werden und das Risiko speziell für die Nutztierbestände in Freilandhaltung steigt.

Warum sind auch Hobbyhaltungen aufzustallen?
Wenn Hobbyhaltungen in Gebieten liegen, wo Zugvögel rasten, haben diese das gleiche Risiko wie gewerbliche Betriebe. Da wird gar nicht unterschieden. Ich will ja das Nutzgeflügel schützen. Es ist meine Verantwortung als Tierhalter, dass ich dafür Sorge trage, keine Seuchen in meinen Betrieb einzuschleppen oder aus meinem Betrieb zu verschleppen. Da macht das Gesetz keinen Unterschied. Ein weiterer wichtiger Punkt: Auch bei Hobbyhaltungen müssen bei einem Ausbruch Restriktionszonen gebildet werden und das kann natürlich für gewerbliche Betriebe in der Nachbarschaft ein Problem werden, und sogar für den Landkreis oder ganz Deutschland, was die Vermarktung betrifft. Das führt zu erheblichen wirtschaftlichen Einbußen. Im Seuchenfall steht daher das Allgemeinwohl über dem des Einzelnen. Wir versuchen den Zeitraum der Aufstallung so kurz wie möglich zu halten, die Länge der Maßnahmen hängt vom Seuchenverlauf und der regelmäßig erneuerten Risikobeurteilung ab.

Worin liegt der eigentliche Schaden der Geflügelpest?
Bei der Geflügelpest handelt es sich um eine anzeigepflichtige Tierseuche, die mit staatlichen Maßnahmen zu bekämpfen ist. Abgesehen von der Erkrankung des einzelnen Tieres geht es hier um den Schutz der gesamten Population. Man will verhindern, dass durch die Erkrankung eines Bestandes andere Bestände ebenfalls betroffen sind und aus Seuchenschutzgründen gekeult, also getötet werden müssen. Das ist eine sehr unschöne Maßnahme, aber leider zur Eindämmung der Seuche nötig. Man darf die Tiere bei Geflügelpest weder behandeln noch impfen, das ist EU-weit verboten. Für die getöteten Tiere gibt es eine Entschädigung, handelt man jedoch fahrlässig, gibt es Abzüge seitens der Tierseuchenkasse.

Wie läuft die Virusübertragung ab?
Über Sekrete und Exkremente als direkte Übertragung von Tier zu Tier und durch kontaminiertes Futter oder Wasser. Wenn der Erreger in die Einstreu gelangt, diese dann in den Stall gebracht wird zum Einstreuen, können sich die Tiere daran infizieren. Man kann es mit den Schuhen in den Bestand tragen, mit Gerätschaften oder auch mit dem Einstreufahrzeug. Speziell letzteres war das Hauptproblem im Seuchenwinter 2016/2017, als überbetrieblich genutzte Einstreufahrzeuge von Putenstall zu Putenstall gefahren sind, ihre Räder aber vorher nicht gereinigt hatten und so das Virus verschleppten. Schadnager sind Überträger und auch Katze und Hund können das Virus weitertragen.

Was können Halter gegen Stress bei den Tieren tun, die eigentlich Freiland gewohnt sind?
Es gibt die Möglichkeit, eine Voliere anzubauen oder einen Kaltscharrraum. Dieser Raum muss rundherum mit Maschendraht abgedichtet und von oben dicht gegen den Eintrag von Vogelkot geschützt sein. Der Maschendraht darf nur eine Weite von 25 mm haben, damit kein Vogel von außen in die Voliere gelangen kann. Wenn das nicht geht, dann schafft Beschäftigungsmaterial Abhilfe. Stroh- oder Luzerneballen oder Pickblöcke befriedigen den Picktrieb des Geflügels. Ein Sandbad im Stall wäre gut, damit die Tiere ihr natürliches Verhalten des Staubbadens auch im Stall ausführen können. Auch über die Fütterung lässt sich etwas machen oder über Veränderungen im Lichtregime. Eine weitere Maßnahme in dieser Zeit wäre eine Bestandsreduzierung.

Welche Biosicherheitsmaßnahmen sollten jetzt speziell beachtet werden?
Es gibt ein schönes Schaubild vom FLI, welches sehr gut deutlich macht, wie man seinen Bestand schützen kann. Empfehlenswert auch für Hobbyhalter ist ein Wechsel von Kleidung und Schuhen, wenn ich meinen Stall betrete und verlasse. Bei gewerblichen Betrieben ist das eigentlich Standard. Dort gibt es Hygieneschleusen mit einem schwarz-weiß-Bereich sowie ein Waschbecken, um sich Hände zu waschen und zu desinfizieren. Es sollte unbedingt jeder ein Besucherbuch führen, auch der Hobbyhalter, in das sich jeder einträgt, der im Stall war. Und man sollte den Besucherverkehr einschränken, idealerweise geht ab jetzt nur noch eine feste Person in den Stall. Bei manchen Betrieben gilt auch eine 48 oder 72 Stunden Karenzzeit, was bedeutet, dass ich in dieser Zeit nicht in einem anderen Geflügelbetrieb gewesen sein darf.

Was sind die Strafen, wenn gegen die Stallpflicht verstoßen wird?
Wer dagegen verstößt, muss mit einem Ordnungswidrigkeitsverfahren rechnen, das ist in der Geflügel-Pest-VO und im Tiergesundheitsgesetz festgelegt. Das Bußgeld kann bis zu 30.000 Euro betragen je nach Schwere des Sachverhalts. Bei Verstößen wird je nach Sachlage entschieden, ob eine Verwarnung angemessen ist. Wer sich dann aber immer noch der behördlichen Anordnung widersetzt, muss mit einem Bußgeld rechnen. Entsteht aufgrund des eigenen Fehlverhaltens ein Schaden bei einem anderen Geflügelbetrieb, muss unter Umständen sogar auch dieser Schaden übernommen werden.

Frau Dr. Mamarvar, vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Dr. Heike Engels.

Nützliche Links:
Infoseite des Friedrich-Löffler-Instituts inkl. Risikoabschätzung
Schaubild zum Schutz von Nutzgeflügel
Infoseite des LAVES (Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit)

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