Ergebnisse der Prävalenzstudie PraeRi: Kälber (mit Kommentar)

Die drei Universitäten LMU München, TiHo Hannover und FU Berlin haben sich für eine Prävalenzstudie zu Milchkuhbetrieben in Deutschland zusammengeschlossen. Hierfür wurden 765 zufällig ausgeloste Milchkuhbetriebe untersucht und deren Besitzer befragt: in Niedersachsen/Schleswig-Holstein (n=253), Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen (n=252) und in Bayern (n=260). Untersucht wurden: Fütterung, Eutergesundheit, Lahmheit und weitere haltungsassoziierte Leiden und Schäden, Reproduktion, Stoffwechselgesundheit, Kälber und Jungtiere sowie Infektionskrankheiten und Biosicherheit.

In einem ersten Beitrag sollen hier die wichtigsten Ergebnisse für Kälber zusammengefasst werden: „Zum einen wurde retrospektiv die Kälberpopulation in den 12 Monaten vor Betriebsbesuch, und zum anderen wurden die Kälber am Besuchstag in Hinblick auf Erkrankungsprävalenzen und ihr Haltungsumfeld hin untersucht“, heißt es im jetzt vorgelegten Abschlussbericht.

Kälberverluste
Die Totgeburtenrate schien bei größeren Betrieben tendenziell höher zu sein, was auch Untersuchungen in anderen Ländern gezeigt haben. Im Mittel lag sie im Norden bei 5,2 %, im Osten 6,1 % und im Süden 4,0 %. Die postnatale Mortalität (ab dem dritten Lebenstag bis Ende des dritten Lebensmonats) lag bei den weiblichen Kälbern (Nachzucht) im Mittel bei Norden: 5,3 %, Osten: 7,4 %, Süden: 3,7 %.

Im Norden und Osten bestand für männliche Kälber ein höheres Sterberisiko als für weibliche Kälber, was laut der Wissenschaftler am unterschiedlichen Marktwert der männlichen Kälber der regional üblichen Rassen liegt (Norden und Osten: Schwarzbunt und Rotbunt; Süden: Fleckvieh).

Offenbar, so sagt die Studie, würden männliche Kälber häufiger schlechter als weibliche Kälber versorgt. Im Süden gaben 97,7 % der Tierhalter an, dass sie Bullenkälber genauso wie weibliche Kälber versorgen. Demgegenüber gaben im Norden 7,2 %, im Osten 3,7 % und im Süden 1,6 % der befragten Betriebe an, ihre Bullenkälber nicht genauso wie die weiblichen Kälber zu versorgen, bzw. überhaupt nicht.

Zwar steige, wegen des höheren Geburtsgewichtes, bei männlichen Kälbern das Schwergeburts-Risiko, bei erhöhtem Risiko auf unzureichende Biestmilchaufnahme, heißt es im Text. “Schwerer wiegt aber möglicherweise, dass ein männliches Kalb milchbetonter Rassen einen geringeren Verkaufserlös erzielt.“

Die Handlungsempfehlung lautet deshalb: „Die Milchproduktion basiert auf der Produktion von Kälbern, somit ist dies ein Kostenfaktor, der genauso mit einbezogen werden muss wie z. B. Futterkosten. Ansätze, wie die Mast der eigenen männlicher Kälber auf dem Betrieb oder die vermehrte Nutzung von Zweinutzungsrassen, können zusätzlich geeignet sein, den Wert der Kälber zu steigern. Eine Verlängerung der freiwilligen Wartezeit bei hochleistenden Kühen führt langfristig zu weniger Kälbern pro Kuh (Niozas et al., 2019), so dass auch mit diesem Ansatz das Angebot an „überflüssigen“ Kälbern reduziert werden könnte.“

Häufigste Gründe für den Tod weiblicher wie männlicher Kälber waren, vor allem im zweiten und dritten Lebensmonat, Neugeborenendurchfall und Atemwegserkrankungen, gefolgt von Nabel- und Gelenksentzündungen. Durch Totgeburt oder Verlust während der Aufzucht erreichte jedes zehnte Kalb nicht den vierten Lebensmonat.

„Gerade während einer Infektion benötigen Kälber viel Energie, welche sie nur aus der Milchtränke oder dem MAT erhalten. Immer noch magern Kälber durch eine mangelnde Energieversorgung wegen längst überholter Empfehlungen zur Tränkereduktion stark ab“, heißt es im Abschnitt „Handlungsempfehlungen“ deshalb. Und weiter: „Daher darf die Tränke (außer bei Durchfall durch offensichtliche Tränkfehler) auf keinen Fall bei einer Erkrankung abgesetzt oder verringert werden. Die Gabe von Elektrolytlösungen ist zu befürworten, sie sollte als Zwischentränke mit mindestens zwei Stunden Abstand zur Milchtränke verabreicht werden.“

Haltungssysteme und Hygiene
Bei den Haltungssystemen sehen die Autorinnen und Autoren Iglus im Außenbereich und Offenfrontställe positiv, weil sie bessere Lichtverhältnisse und besseres Stallklima brächten. Bei Saugkälbern müsse jedoch auf adäquaten Schutz vor Hitze und Kälte geachtet werden.

„Wärmeisolierung von Außenwänden, eine dicke Einstreumatratze, ein reduzierter Abstand der Decke vom Liegebereich (Iglus, Kälbernester) und der Schutz vor Zugluft. Im Sommer ist eine ausreichende Ventilation und Beschattung von Iglus zu gewährleisten; bestenfalls verfügen Iglus über einen beschatteten Auslauf. In Bezug auf das Tierwohl von Saugkälbern sollte die Gruppenhaltung bereits ab der dritten Lebenswoche angestrebt werden.“

Möglichst trockene und saubere Liegeflächen spielen in diesem Zusammenhang ebenfalls eine wichtige Rolle. Die Mehrzahl der besuchten Betriebe schnitten in der Bewertung hier gut ab: trockene Liegeflächen 73,1 % im Norden, 63,6 % im Osten und 66,2 % im Süden. Sauber oder nur gering verschmutzt waren die Liegeflächen in 92,5 % (Norden), 83,1 % (Osten) und 92,4 % (Süden) der Fälle.

Bei Hygiene und Management rund um die Kalbung besteht vielerorts Handlungsbedarf. Die meisten Abkalbungen finden im Osten und Norden in einer mit mehreren Kühen belegten Abkalbebox statt (Osten 75,8%, Norden 42,7%). Im Norden finden bei 28,9% der Betriebe die Abkalbungen in einer Einzelbox statt, auf der Weide 13,4 %. Im Norden und Süden werden häufig kombinierte Abkalbe-Krankenabteule genutzt, was jedoch hinsichtlich der Verbreitung von Krankheitserregern nicht unbedenklich sei.

Ganz anders sieht es im Süden aus: hier gab fast die Hälfte der Betriebe (47,3%) an, dass die meisten Geburten „in der üblichen Aufstallung“ stattfänden und wiederum die Hälfte davon (52,8%) in Anbindeställen. „Die Abkalbung in der Anbindehaltung ist nicht tiergerecht, da sich die Kuh nicht von der Herde isolieren kann und die Bewegungsmöglichkeiten während der Geburt stark eingeschränkt sind“, heißt es dazu in der Studie. Auch unter den Gesichtspunkten Hygiene und Gefährdung des Kalbes ist Abkalbung im Anbindestall problematisch.

Fütterung
Nimmt ein Kalb Biestmilch direkt an der Kuh auf, ist deren Menge nicht kontrollierbar und es kann zu Unterversorgung kommen (von den beteiligten Betrieben handhaben es jedoch 31,2% im Norden so, 24,6% im Osten und 8,8% im Süden). „Hinweise darauf konnten in dieser Studie in den Regionen Süd und Ost gefunden werden. Dort war die Mortalitätsrate der weiblichen Kälber höher in Betrieben, in denen die Kälber die Biestmilch direkt an der Kuh aufnahmen, als in Betrieben, in denen die Biestmilchaufnahme über einen Nuckeleimer oder -flasche erfolgte.“

Im Median wurden den Kälbern drei Liter Kolostrum angeboten (empfohlen werden 10-12% des Körpergewichts, d. h. 3-4 Liter). Allerdings wurde in zahlreichen Betrieben weniger angeboten (Norden 29,3%, Osten 29,5% und 44,3% Süden).

In den ersten zwei Lebenswochen tränkten über 90% aller Betriebe mit dem Nuckeleimer, wie es auch empfohlen wird, um den Speichelfluss anzuregen, den Schlundreflex auszulösen und zu gewährleisten, dass die Milch direkt in den Labmagen gelangt. Ab der dritten Lebenswoche traten deutliche regionale Unterschiede auf: im Osten setzte jeder zweite Betrieb (53,4%) ab dann Tränkeautomaten ein, im Norden (51,0%) und Süden ((90,7%) kommen dagegen vorwiegend Nuckeleimer zum Einsatz. Vorratstränken kommen selten zum Einsatz, was sich negativ auswirken kann, weil der Saugreflex nicht stimuliert wird und ebenso Pansentrinken begünstigt werden kann.

„Ab der dritten Lebenswoche kam in den Regionen Nord und Ost vorwiegend die Milchaustauscher-Tränke zum Einsatz, wohingegen in der Region Süd weiterhin hauptsachlich Vollmilch vertränkt wurde.“ Für MAT sprechen die konstante Zusammensetzung und ein geringeres Risiko der Übertragung von Krankheitserregern. Dafür ist Vollmilch besser verdaulich, bietet die höhere Energiedichte und fördert die Ausbildung des Immunsystems; allerdings fehlt es an Spurenelementen, insbesondere Eisen und Vitaminen.

„Die Daten dieser Studie deuten darauf hin, dass Betriebe, die ab der dritten Lebenswoche
hauptsachlich MAT vertränkten, im Vergleich zu Vollmilch fütternden Betrieben, eine höhere Inzidenz für Atemwegserkrankungen und eine höhere Mortalitätsrate hatten.“

Handlungsempfehlungen
„Um die Eignung eines Milchaustauschers für die entsprechenden Altersgruppen besser beurteilen zu können, sollte künftig eine vollständige Deklaration (inkl. Energiegehalte in MJ ME/kg TM) bei Milchaustauschern verpflichtend sein.“

„Hersteller sollten eine offene Deklaration des Milchaustauschers auf dem Produkt abdrucken; die Eignung des Produktes für bestimmte Altersgruppen muss unmissverständlich aus der Produktdeklaration hervorgehen. Den Kälbern sollten mindestens 9 Liter Vollmilch oder 1.440 g MAT mit einem Energiegehalt von 15,3 MJ ME /kg / Tag in den ersten drei Lebenswochen angeboten werden.“

„Der Zeitpunkt für das Absetzen der Milchtränke muss für jedes Kalb individuell nach der Menge des aufgenommenen Kraft- und Strukturfutters gewählt werden. Ist ein Kalb in der Lage, an drei aufeinander folgenden Tagen durchschnittlich geschätzt etwa 1,5 kg Kraftfutter aufzunehmen, kann es von der Milchtränke vollständig abgesetzt werden, wobei zusätzlich die körperliche Entwicklung des individuellen Kalbes zu berücksichtigen ist. Wenn kein individuelles Absetzen möglich ist, sollte der gemeinsame Absetzzeitpunkt möglichst spät, d. h. frühestens mit 12 bis 13 Wochen erfolgen.“

„Der Zugang zu Wasser und Heu sollte zukünftig in allen Betrieben für Kälber ab dem ersten Lebenstag eingerichtet und auch durch die zuständige Behörde überprüft werden.“

Enthornung
Die Enthornung der Kälber führen die meisten Tierhalter selbst durch (Norden: 82,6 %, Osten: 78,5 %, Süden: 75,0 %). Am häufigsten angewandte Methoden waren das Brennen mittels Brennstab (Herausstemmen der kompletten Hornanlage oder Verödung durch Brennen eines Ringes um die Hornanlage), wobei beim Ausstemmen häufiger ‚eitrige Sekretion‘ bei den untersuchten Kälbern festgestellt wurde als beim Ring brennen. Zur Linderung der Schmerzen wurden in den meisten Betrieben Beruhigungs- und Schmerzmittel eingesetzt. Seltener wurde nur ein Schmerz- oder nur ein Beruhigungsmittel angewendet.

Zwar ist es gemäß TierSchG zulässig Kälber bis zum Alter von sechs Wochen ohne Schmerzlinderung zu enthornen, die Studienautorinnen und -autoren plädieren jedoch dafür „die Legislative dazu anzuspornen den § 5(3) 2. des TierSchG als Ausnahmeregelung vorbehaltslos zu streichen.“

Es sei wissenschaftlich belegt, dass Enthornen mit erheblichen Schmerzen und Leiden verbunden ist und auch nach dem Abklingen von einmalig verabreichten Schmerzmitteln noch mit erheblichen Schmerzen und Leiden zu rechnen ist. Deshalb sollte das Schmerzmanagement fortgeführt werden (1).

Stafford and Mellor schreiben dazu: „Eine Kombination aus Sedierung, Lokalanästhesie und systemischer Analgesie unter Verwendung eines lang anhaltenden NSAID sollte die durch diese kombinierten Verfahren verursachten Schmerzen verringern, vielleicht sogar beseitigen.“

(1) Eine kürzlich veröffentlichte Studie der University of British Columbia (Kanada) legt nahe, dass die Schmerzen bis fünf Tage nach der Enthornung anhalten.

Link zu sämtlichen Studien-Ergebnissen

Kommentar: „Ein Weckruf an die Branche“
Wirklich überraschend sind die PraeRi-Ergebnisse für Brancheninsider nicht. Aber trotzdem erschütternd! Die zahlreichen Problemfelder in der Kälberaufzucht sind hinlänglich bekannt und doch trifft die schiere Datenmenge – auch uns – mit voller Wucht. Viele Milchviehhalter in Deutschland arbeiten gut, was auch die Studie bekräftigt. In viel zu vielen Betrieben aber besteht dringender Handlungsbedarf!

An allen Ecken und Ende hapert es dort bei der Aufzucht der Kälber. Mal mehr, mal weniger – aber insgesamt viel zu sehr. Dabei sind Werkzeuge und Lösungsmöglichkeiten bekannt und müssten nur an- und umgesetzt werden. Hier sind Tierhalter, Tierärzte, Berater und Industrie dringend gefragt!

Aber auch der Handel steht in der Verantwortung. Es ist Jahre her, dass Landwirte einen auskömmlichen Preis für ihre Milch erzielen konnten. Jahre, in denen sie mit Ackerbau quersubventioniert oder die Kostenschraube auf Anschlag gedreht haben. Aber sparen bei Tiergesundheit, Fütterung und Versorgung der Tiere darf schlicht nicht sein!

Die Wertschöpfungskette in der Milcherzeugung beginnt beim Kalb und der Aufwand für dessen bestmögliche Versorgung, muss in der betrieblichen Kalkulation „eingepreist“ sein. Aber ganz genauso eben am anderen Ende der Kette – im Laden. Diesen Zusammenhang auch dem Verbraucher klarzumachen und Milchprodukte endlich angemessen zu bepreisen, ist ein immer drängenderer Auftrag an den Handel!

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