Interview: Was braucht die Pute?

PaulWestermann, Firma BEST 3 Geflügelernährung GmbH

Die Deutschen mögen Geflügelfleisch – rund 21 kg isst jeder Deutsche pro Jahr mit steigernder Tendenz. Dabei rangiert die Pute mit rund 6 kg an zweiter Stelle nach Hähnchenfleisch. Die Putenmast gilt als anspruchsvoll. Warum das so ist und welche Bedürfnisse die Pute eigentlich hat, weiß Tierarzt Paul Westermann. Er arbeitet als Produktfeldleiter Geflügelmast bei der Firma BEST 3 Geflügelernährung GmbH in Twistringen.

Herr Westermann, wie steht es derzeit um die Putenhaltung in Deutschland?
Insgesamt ist die Situation gerade durch die Corona-Krise schwierig. Nicht ganz so schlimm wie im Schweinebereich, aber ähnlich, was die Probleme bei den Schlachtungen angeht. Die Auszahlungspreise sind durch die Einschränkungen bei der Gastronomie stark gefallen. Das wird sich aber auch wieder fangen, da Geflügelfleisch an sich beliebt ist und der Verzehr in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen ist. Die Pute hat sehr mageres Fleisch. Man muss als Mäster derzeit flexibel sein, die Endgewichte werden teils über- teils unterschritten, weil Schlachthöfe die Tiere abrufen, wenn sie gerade Kapazitäten haben.

Wie gestaltet sich die Mast?
Puten werden vornehmlich in Offenställen gehalten mit Jalousien. Neuere Ställe müssen zwangsbelüftet werden über Zuluftklappen. Die Aufzucht erfolgt an einem separaten Standort, mit 5 Wochen werden die Tiere dann in den Maststall umgestallt. Mindestens dreimal die Woche wird im Maststall mit Stroh nachgestreut. Puten brauchen offene Rundtränken, keine Nippeltränken. Hähne werden ungefähr 150 Tage gemästet, Hennen 112 Tage. Eigentlich ist ein Vorgriff üblich, um die Besatzdichte gering zu halten. Jetzt durch die Corona-Krise ist er oft nicht möglich, weil die Schlachthöfe keine Kapazitäten haben. Die durchschnittliche Herdengröße liegt bei rund 4.000 bis 6.000 Tieren pro Stall, ein durchschnittlicher Putenbetrieb hat heutzutage 15.000 bis 18.000 Tiere auf mehrere Ställe verteilt. Das ist aber regional sehr unterschiedlich. Die Küken werden in der Brüterei gesext und Hennen und Hähne dann getrennt aufgezogen. Rentabler ist die Hahnenmast, die Hennen gehen häufig ins benachbarte Ausland.

In wie viele Phasen sollte die Fütterung aufgeteilt werden und warum?
Wir bei BEST 3 füttern ein Vielphasensystem, für gewöhnlich das Mastfutter P0 bis P6. P0 bis P3 deckt die Aufzucht ab, die anderen Produkte die Mast. Wir haben das so aufgeteilt, weil die Hähne entsprechend alt werden und über die Entwicklung unterschiedliche Nährstoffansprüche haben. Deshalb brauchen wir deutlich mehr Futterphasen als beim Masthähnchen. Die Tiere sind mit relativ hohen Proteingaben versorgt, um das Wachstum zu gestalten, aber einen Überhang wollen wir auch nicht. Man muss so dicht wie möglich am Bedarf füttern. Das nützt nicht nur dem Tier, sondern so gelangen auch weniger Nährstoffe in den Mist, was auch bei den strengen Auflagen der Düngeverordnung mit zu bedenken ist.

Kann Weizen oder anderes Getreide beigefüttert werden und ist das sogar ratsam?
Ja, unbedingt. Ein Mastfutter ist standardmäßig sehr nährstoffreich und erfordert ein gesundes Tier, um die volle Leistung zu entfalten. In Stresssituationen wie z.B. Hitze ergeben sich jedoch Probleme durch genau diesen Umstand. Dann benötigt das Tier weniger Protein, das erreichen wir über ein Kernfutter wie P4 oder P5, in welches wir in unterschiedlichen Mengen Weizen oder Mais zudosieren, um den Proteingehalt für den Moment zu senken. Weizen und gebrochener Mais geben dem Futter mehr Struktur, was die Pute unbedingt braucht. Nach der Aufzucht gehen wir deshalb über in ein System, bei dem der Mäster die Kernfutter P3 bis P6 wählt und dann Weizen und Mais zudosiert oder wir diese Vitalfutter-Mischung ab Werk ausliefern. Warum? Die Darminstabilität findet oft in den Futterphasen P3/P4 statt, hier entspannt Getreide in veränderlichen Prozenten die kritische Lage. Welches Getreide eingesetzt und dem Konzentrat zugesetzt wird, entscheiden wir vor Ort zusammen mit dem Landwirt.

Muss das Futter Struktur haben oder ist es besser fein vermahlen?
Struktur trainiert den Muskelmagen, die Tiere bekommen ein zufriedeneres Gefühl, weil der Darm gut arbeiten kann. Zu feines Futter passiert den Darm zu schnell, das wollen wir nicht. Struktur fördert eine Fermentation in den Blinddärmen, das Mikrobiom wird im richtigen Verhältnis gefördert. Bei der Pute sind die Blinddärme deutlich länger als beim restlichen Geflügel, und in ihnen findet die Faserverdauung statt, deswegen braucht die Pute Fasern. Die Produktion und Struktur der Pellets sollte auf das Alter der Tiere abgestimmt sein, denn die Pelletstruktur spielt eine große Rolle für eine reibungslose Verdauung. Die Jungtiere erhalten Mehlfutter als Pellet, denn die Verdauung muss sich erst daran gewöhnen. Mit zunehmendem Alter der Tiere sollte die Pelletstruktur immer gröber werden. Besonders in den letzten Phasen P5 und P6 hilft dagegen eine gröbere Partikelstruktur, den Nahrungsbrei im Muskelmagen und im Darm besser zu durchmischen und dadurch eine effektivere Verdauung und ein zufriedeneres Tier mit besseren Leistungen zu erhalten.

Haben Puten einen hohen Wasserbedarf?
Wasser ist das Futtermittel Nummer 1. Puten haben einen hohen Wasserbedarf. Sie benötigt einen Teil Futter auf 2 Teile Wasser, ähnlich wie beim Hähnchen. Puten muss das Wasser immer sehr einfach angeboten werden, der Stall muss möglichst viele Tränkeeinrichtungen haben. Puten haben nicht den Instinkt Wasser eigenständig zu suchen, sondern sie müssen schon in der Aufzucht darauf gestoßen werden, wo Wasser und Futter zu finden ist. Das Wasser muss sehr sauber sein, aber dadurch, dass es offen angeboten wird, verschmutzt es leider schnell. Um das Wasser stets hygienisch sauber anzubieten, gibt es verschiedene Produkte auf dem Markt.

Wie wichtig ist Licht?
Das Thema Licht wird immer wichtiger werden vor allem vor dem Hintergrund, dass das Schnabelkürzen irgendwann verboten werden wird. Sollte der Schnabel irgendwann nicht mehr gelasert werden dürfen, kann die Mast eigentlich nur noch in totaler Dunkelheit ablaufen, weil die Tiere sich sonst bepicken. Geflügel ist generell empfindlich auf Licht, schließlich sind es Dickichtbewohner, sie leben normalerweise am Waldrand, suchen Schutz, dadurch sorgt helles Licht für Dauerstress. Durch die Offenställe ist das Lichtregime nur eingeschränkt zu steuern, weil ja viel Außenlicht hereinkommt. Nachts wird ein Orientierungslicht geboten, weil Puten sehr anfällig für plötzliche Veränderungen in der Lichtintensität sind und sich z.B. vor vorbeifahrenden Autos bzw. deren Scheinwerfern erschrecken, das kann Panik auslösen.

Welche Indikatoren werden für die Beurteilung von Gesundheit und Tierwohl herangezogen?
Der erste Eindruck ist die Gefiederfarbe, ist sie weiß oder verkotet bzw. verschmutzt? Hähne müssen sich lebhaft zeigen und sich präsentieren, dann geht es ihnen gut. Dominanzverhalten gibt es nur, wenn die Tiere die Zeit dafür haben und nicht mit anderen Nöten beschäftigt sind. Beingesundheit ist wichtig, Atemwege auch, Schnupfen oder Husten sollte nicht sein. Fußballen sind natürlich wichtig, diese werden auch am Schlachthof bonitiert und in 3 Kategorien eingeteilt. Brustblasen am Schlachtkörper werden aufgenommen, die anzeigen, ob die Tiere feucht oder trocken oder generell viel gelegen haben.

Wie steht es um das Schnabelkürzen?
Aktuell gibt es hierzu Ausnahmeregelungen. Den Tieren muss während der Laserbehandlung ein Schmerzmittel gegeben werden. Das wird derzeit direkt in der Brüterei mit einem kombinierten Schmerzmittel und Entzündungshemmer sichergestellt. Einen festen Termin für das Ende des Schnabelkürzens gibt es jedoch nicht. Das würde meiner Meinung nach auch die Putenhaltung deutlich erschweren oder fast unmöglich machen.

Lässt sich Stress bei den Puten über das Futter reduzieren?
Die Wichtigkeit von Struktur habe ich ja schon angemerkt. Dadurch, dass die Tiere ständig alles anpicken, was sich im Stall befindet, kann es auch dazu kommen, dass die Tiere Einstreu aufnehmen, deshalb sollte man Grit direkt über die Futterschalen füttern, damit die Tiere das Stroh einfacher verdauen können. Bei Darmirritationen sollte zusätzlich der Getreideanteil im Futter erhöht werden. Rein zur Beschäftigung der Tiere bieten sich Strohballen an, Sisalgarn, Bänder und Ketten, Plastikflaschen befüllt mit farbigem Wasser, erhöhte Podeste zum Hochspringen und um sich darunter zu verstecken.

Welchen Trend sehen Sie für die Zukunft?
Zukünftig kann ich mir vorstellen, dass die Rohproteinabsenkung noch weiter voran schreiten wird, weil mehr freie Aminosäuren auf den Markt kommen werden. Es wird neue Enzymkombinationen geben, die die Verdauung erleichtern und dadurch die Verdaulichkeit anheben. Wir werden feststellen, dass die Tiere immer noch ein wenig zu gut versorgt sind. Auch wir bei BEST 3 optimieren vor diesem Hintergrund ständig die verschieden Phasen unseres Putenfutters. Gerade haben wir das Futter noch um ein P7 ergänzt. Aus Sicht der Vermarkter würde ich sagen, dass an weiteren Tierwohlstandards gearbeitet wird, denn Tierwohl wird einfach immer wichtiger.

Herr Westermann, vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Dr. Heike Engels (zuerst erschienen im E-Magazin „Der Hoftierarzt“ Dezember 2020).

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