„Qualzucht“ beim Nutztier? – #TiHo-Tierschutztagung 2022

Bereits 2019 konstituierte sich bei der Bundestierärztekammer eine Arbeitsgruppe „Tierschutz in der Nutztierzucht“, um tierärztliche Positionen im Zusammenhang mit leistungsassoziierten Krankheiten bei Nutztieren zu erarbeiten. Dr. Silvia Heesen (Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz) stellte nun die gemeinsamen Positionen auf der Tierschutztagung 2022 vor.

Weil die Zucht von Milchvieh noch vergleichsweise häufig in Deutschland stattfindet, hat die Arbeitsgruppe sich zunächst mit der Milchviehzucht befasst. Hierzu hat sie eine Dissertation initiiert zum Thema „Tierschutzrelevante Zuchtprobleme beim Milchvieh – Interaktion zwischen dem Zuchtziel „Milchleistung“ und dem vermehrten Auftraten von Produktionskrankheiten, ein systematischer Review“ (Alina Bauer, FU Berlin). Zusätzlich wertete die Arbeitsgruppe statistische Daten aus.

Die Nutzungsdauer einer HF-Kuh liegt in Deutschland zwischen 2 und 3,5 Jahren und ein Großteil der Tiere erreicht so nicht ihr Leistungsoptimum, das ab der 3. oder 5. Laktation zu erwarten ist. Laut BRS-Bericht 2019 lag die Abgangsrate von MLP-Kühen bei 36,2%. Als häufigste Abgangsgründe wurden genannt:

Fruchtbarkeitsstörungen 20,5%
Eutererkrankungen/Mastitis 12,8%
Klauen- und Gliedmaßenerkankungen 11,5%
Sonstige Erkrankungen 6,3%
Stoffwechselstörungen 3,7%

54,5% aller Abgänge (ca. 700.000 MLP-Kühe) schieden demnach wegen sog. „Produktionskrankheiten“ aus, die mit Schmerzen, Leiden oder Schäden für das Einzeltier einhergehen. Managementprobleme und mangelhafte Tierhaltung könnten für diese Zahlen sicher nicht allein verantwortliche gemacht werden, weswegen die Frage nach züchterischen Möglichkeiten zur Verbesserung der Tiergesundheit gestellt werden müsse.

In zahlreichen Studien wurden Korrelationen wischen Milchleistung und Stoffwechselstörungen wir z. B. Ketose, aber auch vermehrtes Auftreten kliinischer Mastitiden, Nachgeburtsverhalten bzw. Fruchtbarkeitsstörungen ermittelt. Die generelle Problematik ließe sich daran verdeutlichen, so Dr. Heesen, dass die Beziehung zwischen steigender Milchleistung und unzureichender Futteraufnahme zu Beginn der Laktation in der Zucht nicht berücksichtigt wurde.

Auch wenn durch die Einführung des Relativzuchtwerts Gesundheit die Möglichkeiten der Zuchtwertschätzung zur Verbesserung der Tiergesundheit deutlich verbessert wurden, sei trotzdem zu befürchten, dass das Verhältnis von RZ-Milch (36%) zu RZ-Gesundheit (18%) weiterhin nicht ausreiche, das genetische Krankheits-Risiko bei HF-Kühen zu verhindern.

Die EU-Tierzuchtverordnung verlange von Züchtern zwar einerseits Tiergesundheit und Robustheit der Tiere zu verbessern, erkenne aber ebenso die Leistungsfähigkeit wegen damit verbundener Wettbewerbsfähigkeit als Zuchtziel an. Tierschutzrechtlich problematisch werde es allerdings, führte die Referentin aus, wenn eine Kuh leistungsbedingt überfordert würde und davon auszugehen sei, dass züchterisch bedingte hohe Milchleistung ursächlich für Stoffwechsel- und Fruchtbarkeitsstörungen, Labmagenverlagerungen, Eutererkrankungen sei. Für diesen Zusammenhang spräche die hohe Krankheits-Inzidenz zu Beginn der Laktation durch den schnellen Leistungsanstieg.

Die Bundestierärztekammer hat ein Positionspapier „Leistungen der Milchkühe und deren Gesundheitsrisiken“ veröffentlicht und einschlägige Organisationen zur Diskussion der tierärztlichen Einschätzungen aufgefordert. Die DGFZ hat bereits eine ausführliche Stellungnahme veröffentlicht und moniert, die züchterischen Bemühungen zur Verbesserung der Tiergesundheit würden nicht ausreichend gewürdigt. Einigkeit besteht aber in der Beurteilung, dass zu viele Kühe zu früh die Betriebe verlassen.

Nach einem Gespräch von Vertretern der DGFZ, des bpt und der Arbeitsgruppe lautete das Fazit: „Auch wenn Tierärzte keinen unmittelbaren Einfluss auf das Zuchtgeschehen nehmen können, wird von allen Beteiligten für erforderlich gehalten, die bundesweite Erfassung von Tiergesundheitsdaten unserer Milchkühe mit tierärztlicher Unterstützung zu optimieren, so dass nicht nur projektbezogen, sondern bundesweit valide Daten zur Tiergesundheit in die Zuchtwertschätzung einfließen können.“

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein