Wie sieht die Schweinehaltung der Zukunft aus? #Expertise2023

Prof. Dr. Nicole Kemper, Foto: © Christoph Schmitz

Viele deutsche Schweinehalter wollen sich nicht mehr auf den Weg in die Zukunft begeben – für diese und für sich selbst sehen sie schwarz. Im November 2022 wurde mit 21,3 Mio. gehaltenen Schweinen ein neuer Tiefstwert erreicht. Zwischen 2012 und 2022 haben 55,2% der Ferkelerzeuger das Handtuch geworfen; der Sauenbestand ging um 34,1% zurück. Während Deutschland um 560.750 Sauen abstockt, baut Spanien den Gesamtbestand um 438.330Sauen auf.

Die Transformation der Schweinehaltung biete Chancen für den Tierschutz und stelle die Branche gleichzeitig vor große Herausforderungen in der Umsetzung, sagte Prof. Dr. Nicole Kemper (TiHo) zu Beginn ihres Vortrags auf der Expertise 2023.

Zukünftig gälten neue Anforderungen für Schweinehaltungssysteme, die sich an den Bedürfnissen der Tiere orientieren sollten, aber auch für den Menschen effizient, sicher und leistbar sein müssten. Viele Fragen zu Baurecht, Technik, Umwelt, Ökonomie, Markt, Ethik, Verbraucher- und Seuchenschutz warteten auf Antworten.

Vom Tier her gedacht sollten Haltungssysteme für Schweine – außer mehr Platz – einiges mehr bieten:

• Strukturierung der Bucht, damit die Schweine ihre Bedürfnisse ungehindert ausleben können (hier böten sich etwa erhöhte Ebenen – auch als Klimazonen – an)
• Funktionsbereiche, insbesondere Trennung von Kot-/Urin-Bereich und Liegeplatz (an der funktionssicheren Schweinetoilette würde allerdings noch gearbeitet)
• Beschäftigungsmaterial

Um Schweinehalter zu unterstützen böten sich z. B. am Schlachthof erhobene Tierschutzindikatoren an, die Hinweise auf Optimierungsmöglichkeiten in der Haltung liefern können. Auch die Genetik spiele eine wichtige Rolle: Sauen in Systemen ohne Fixierung müssten umgänglich und gleichzeitig mütterlich sein. Die züchterische Bearbeitung von Verhaltensmerkmalen aber sei möglich, ebenso wie z. B. auf Zucht auf Hitzetoleranz.

Die Digitalisierung könne helfen, etwa das „Experimentierfeld DigiSchwein“ und „TIPP“ (Transparency in Pig Production). Automatisierte Überwachung rund um die Uhr und Alarm bei Abweichungen sei heute bereits technisch möglich, wie auch Verhaltensüberwachung per Video und Geräusch-Analyse.

Vor allem aber müssten Zielkonflikte gelöst werden: sowohl zwischen Tierwohl und Ökonomie als auch zwischen Tierwohl und Emissionen/Biosicherheit. Zur Ökonomie liege der Vorschlag der Borchert-Kommission vor, zu Emissionen seien zunächst einmal Referenzwerte für Geruch und Ammoniak erforderlich. Im Projekt „EmiDat“ würden bereits Emissionen in Auslauf-Haltungen gemessen. Eine teilweise oder komplette Überdachung der Ausläufe könne zur Minimierung der Emissionen beitragen, aber immer werde Abwägung und Priorisierung nötig bleiben.

Die anstehenden Änderungen hätten erhebliche Auswirkungen auf alle Betriebe, vor allem bei den Ferkelerzeugern. In vorhandenen Gebäuden sei eine Anpassung an neue Vorgaben nur bei Bestands-Abstockung machbar. Immissionsschutz und Baurecht stellten derzeit die größten Hürden für Neubauten dar. Aber: Wissen, Expertise und Kompetenz sei in Deutschland vorhanden.

Politische Lösungsstrategien jedoch fehlten – auch nach einem Jahrzehnt der Diskussionen – immer noch. Schweinehaltung in Deutschland brauche Planungssicherheit und machbare Rahmenbedingungen um tiergerechte Haltungssysteme umsetzen zu können. Hier seien politische Lösungen, auch im globalen Kontext, gefragt. In diesem Sinne zitierte Nicole Kemper zum Schluss den Slogan:

„Maintain the social license for pig farming“
Erhalten Sie die soziale Lizenz für die Schweinehaltung!

Expertise 2023: eine hybride Fortbildungsveranstaltung für Tierärzte und Tierärztinnen von MSD Tiergesundheit (9./10. 5. 2023)

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