Aviäre Influenza: Steht uns die nächste Pandemie bevor?

Mulardenenten Foto: Emmi Nummela @ Pixabay

Die aviäre Influenza, auch Geflügelpest genannt, ist eine immer häufiger auftretende Erkrankung beim Geflügel. Obwohl die Erkrankung global auftritt, gibt es verschiedene Hindernisse beim Impfstoffeinsatz für Nutzgeflügel und damit auch keine Impfstrategie. Keulungen infizierter Geflügelbestände im großen Ausmaß sind die traurige Folge. Doch jetzt soll sich das eventuell ändern.

Von Südchina ausgehend, hat sich in den letzten 25 Jahren die Geflügelpestvariante H5N1 unter Geflügel und Wildvögeln verbreitet. 1996 wurde die erste Infektion bei einer Gans in Guangdong festgestellt und seitdem verbreitete sich das Virus mit dem jährlichen Vogelzug fast über den gesamten Globus. Nur Australien und die Antarktis blieben bislang verschont.

In Deutschland wurde das Virus mittlerweile bei über 40 Wildvogelarten nachgewiesen. Momentan sind in Europa vor allem Möven infiziert und Raubmöven stehen im Verdacht, das Virus über den Atlantik getragen zu haben.

In Europa, Nord- und Südamerika wurden etliche Fälle von infizierten Katzen, Hunden, Füchsen, Bären und auch Seelöwen, etwa an der Pazifikküste Chiles, gemeldet, die sich über den Verzehr kranker (Wasser-)Vögel angesteckt hatten.

Die aktuelle weltweite Verbreitung der Erreger sei beispiellos, erklärte Prof. Dr. Timm Harder, Laborleiter beim Friedrich Löffler Institut (FLI), kürzlich auf einer Veranstaltung des europäischen Tierärzteverbandes FVE und der Poultry Veterinary Study Group of the EU (PVSG-EU). Die Federation of Veterinarians of Europe (FVE) ist eine Dachorganisation von Veterinärorganisationen aus 38 europäischen Ländern, die insgesamt rund 300.000 Tierärzte vertreten. Die PVSG-EU ist eine Gruppe von Geflügeltierärzten aus der EU-Geflügelproduktion, die sich regelmäßig über praktische Erfahrungen und Informationen über die Krankheitssituation bei Geflügel- und Vogelarten in jedem Land austauschen. Sporadische Infektionen von Wildtieren förderten die Anpassung der Viren und das achtfach segmentierte Genom ermögliche eine Neusortierung, wenn eine einzelne Wirtszelle gleichzeitig von zwei verschiedenen Elternviren infiziert wird, so Dr. Harder. Eine „schlampige“ Genomreplikation erzeuge zufällige Punktmutationen, die zu einer genetischen Drift führten.

Die derzeitige enzootische Ausbreitung von HPAIV sei jedenfalls beispiellos und sporadische Infektionen von Wildtieren können die Virusanpassung fördern. Deshalb bleibe Ausmerzen Kern der Ausrottungsstrategien und die Impfung sollte keine Entschuldigung für eine tolerierte Koexistenz mit HPAIV in der EU sein.
Auch wenn nach Prof. Harders Einschätzung das zoonotische Risiko noch gering ist, gab es bereits Berichte von Virus-Übertragungen vom Tier auf den Menschen aus England, Spanien, China, Vietnam, Ecuador und Chile. Und unter Wissenschaftlern und Politikern wächst doch die Angst, dass mit einem endemischen Virus die Mutations-Wahrscheinlichkeit steigt und Ansteckungen von Mensch zu Mensch möglich werden.

Hohe Verluste beim Nutzgeflügel
Seit Anfang 2022 starben mehr als 200 Millionen Vögel aufgrund einer Geflügelpest-Infektion oder durch Keulungen. Allein in den USA summierten sich die Verluste auf 58 Mio. Tiere. In der EU ist Frankreich am stärksten betroffen, wo von 2021 bis 2022 über 21 Millionen Vögel gekeult wurden.

Bisher sperren sich die meisten der weltgrößten Geflügelproduzenten (u. a. in den USA) gegen eine Impfung, weil sie befürchten, diese könnte eine Ausbreitung der Vogelgrippe maskieren und den Export in Länder gefährden, die Einfuhren geimpfter Tiere untersagen. Das könnte sich nun ändern: Im März dieses Jahres startete das amerikanische Landwirtschaftsministerium (USDA) Tests von vier verschiedenen Impfstoffen gegen den aktuellen Virusstamm 2.3.4.4b, wie die Zeitschrift „Science“ schreibt. Ob die Vakzine wirksam sind, solle dann bis Juni 2023 feststehen. Neben den eigenen Tests würden auch Daten von europäischen Laboren berücksichtigt, die aktuell Impfstoffe gegen 2.3.4.4b testen, heißt es weiter.

Das Genehmigungsverfahren dauere dann normalerweise 2,5 bis 3 Jahre, aber „in Notsituationen können Hersteller die Entwicklung beschleunigen, was zu einem verkürzten Zeitrahmen bis zur Lizenzierung führt“, zitiert „Science“ eine Ministeriums-Sprecherin.
Auch die EU hat eine eigene Initiative gestartet: Frankreich testet Impfstoffe für Enten, die Niederlande für Legehennen, Italien für Puten und Ungarn für Pekingenten. Auch die Ergebnisse dieser Studien sollen in den nächsten Monaten vorliegen.

Perspektiven für eine Impfung
Auch auf der EuroTier 2022 war die Geflügelpest Thema: Im Rahmen des Fachprogramms referierte Dr. Franziska Kloska (Ceva Tiergesundheit GmbH) zur Impfung gegen AVI. Sehr anschaulich beschrieb sie sowohl die Dringlichkeit, geeignete Impfstoffe auf den Markt zu bringen, als auch die damit verbundenen Herausforderungen.

Trat die Krankheit früher nur in Zeiten des Vogelzugs auf, stehe sie nun kurz davor „enzootisch“ zu werden (beim Menschen würde man von „endemisch“ sprechen). Die Infektionsdynamik ändere sich gerade grundlegend und kommerzielle Geflügelhaltungen seien schon heute ganzjährig gefährdet. Das Virus hat in Wildvogelbeständen, vor allem in Enten und Gänsen, ein dauerhaftes Reservoir, weist große genetische Flexibilität, hohe Persistenz und Ansteckung auf.

Eine Kosten-/Nutzen-Analyse zeige, dass Impfung „billiger“ als Keulung sei. Ganzjährige Bedrohung, hohe Kosten für Biosicherheit, hohe Verluste beim Auftreten, massive Störungen wirtschaftlicher Prozesse sprächen für die Impfung. Ebenso und nicht zuletzt die schwindende gesellschaftliche Akzeptanz von Bestandskeulungen.

Was ein idealer Impfstoff alles bieten sollte fasste Dr. Kloska so zusammen:
• starke Reduktion von Virusausscheidung
• Schutz gegen klinische Erkrankung
• flexible Anpassung an neue Entwicklungslinien
• für alle Arten geeignet (Hühner, Puten, Enten, Gänse …)
• DIVA-compatible (Differentiating Infected from Vaccinated Animals – Unterscheidung infizierter von geimpften Tieren)
• sicher und einfach zu verabreichen

Schließlich wären auch eine schnelle Immunantwort und langanhaltende Immunität wünschenswert.

Prinzipiell müsse man aber auch noch etliche Fragen zur Impfstrategie klären: welche Arten sollten zuerst geimpft werden – die am stärksten exponierten (Freiland und Bio)? Die empfänglichsten (Enten, Puten, Hühner)? Die am meisten gefährdeten (in Zoos)? Oder die wirtschaftlich wertvollsten (in der Zucht)? In welchen Gebieten sollte man starten: in denen mit hoher Bestandsdichte oder in Feuchtgebieten und auf Migrationswegen? Wann sollte geimpft werden: saisonal oder ganzjährig? Welches Impfschema ist besser: Booster oder nicht?

Frankreich geht voran
Die französische Regierung hat Anfang April 2023 eine Ausschreibung für 80 Millionen Impfdosen gestartet, um im Herbst ein Impfprogramm starten zu können, nachdem die „Nationale Agentur für Lebensmittel-, Umwelt- und Arbeitsschutz (ANSES)“ hierfür drei Szenarien erarbeitet hatte.

Vor allem entlang der Loire und in der Bretagne sind Puten- und Enten-Haltungen konzentriert. Gerade Enten gehören aber zu den anfälligsten Arten für die Vogelgrippe und die sollen nach dem Plan der französischen Regierung auch geimpft werden.
Die hohe Empfänglichkeit von Enten „kombiniert mit einer Haltungsform, die dazu führt, dass Enten oft Wildvögeln ausgesetzt sind oder zwischen verschiedenen Brutstätten bewegt werden, bedeutet, dass diese Tiere oft die Quelle für die Einschleppung und Ausbreitung von Krankheiten in Betrieben sind. Eine Impfstrategie, die darauf abzielt, die Ausbreitung der Krankheit zwischen zwei geografischen Gebieten zu verhindern, ist ohne die Einbeziehung der Entenimpfung nicht möglich“, führt die ANSES aus.

Die Impfung von Hennen und Hühnern als Reaktion auf Infektionsausbrüche sei ebenfalls nutzlos, weil das Virus zwischen den Betrieben schneller zirkuliere als der Erwerb einer Immunität nach Impfung.

Drei Impfszenarien der ANSES
Die vorgeschlagenen präventiven Impfszenarien zielen darauf ab, den Geflügelsektor zu schützen und die Ausbreitung des Virus zu begrenzen, indem je nach verfügbaren Impfstoffen die Arten von Betrieben und die zu impfenden Arten priorisiert werden.

Bisher hat nur ein Impfstoff für Hühner (Gallus gallus) eine Marktzulassung in Frankreich. Anträge auf Marktzulassung oder vorübergehende Zulassung zur Verwendung von Impfstoffen für mehrere Geflügelarten wurden kürzlich eingereicht und werden derzeit von der französischen nationalen Agentur für Tierarzneimittel (ANMV) und der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) geprüft.

„Wir haben uns wegen der übermäßigen Verzögerungen zwischen der Impfung des Tieres und seinem Schutz gegen das Virus nicht für eine Notimpfung entschieden, wobei die Verzögerung für diese Immunität auf 3 bis 4 Wochen geschätzt wurde. Darüber hinaus erhöht die Impfung von Tieren inmitten einer Tierseuche tendenziell den Zustrom von Menschen zu den Betrieben und damit das Risiko von Verstößen gegen die Biosicherheit und die Einschleppung von HPAI in diese Betriebe“, erläutert Caroline Boudergue von ANSES.

Im Allgemeinen wird die Impfung des am stärksten exponierten Geflügels auch die Vermehrung des Virus und das Mutationsrisiko begrenzen, um zu verhindern, dass es sich an Säugetiere und Menschen anpasst.

Drei Szenarien wurden in Abhängigkeit von den zur Verfügung stehenden Impfmitteln nach einem abgestuften Ansatz erstellt:

Szenario 1: Impfung der Tiere in Zuchtbetrieben für alle Geflügelarten. Dieser Schritt hat den Vorteil, dass eine begrenzte Anzahl von Impfstoffdosen erforderlich ist. Es ermöglicht auch, den französischen Geflügelsektor vor den Auswirkungen einer neuen Tierseuche zu schützen, indem das genetische Potenzial sowie die Möglichkeit erhalten werden, Tiere nach der Tierseuche wieder in die Produktionshaltung zu bringen.

Szenario 2: Impfung von Wasservögeln (Enten und Gänsen) und anderen im Freien aufgezogenen Wasservögeln, von im Freien aufgezogenen Truthühnern und Junghennen, die für die Freilandhaltung bestimmt sind. Das Ziel besteht darin, das Ausmaß von Tierseuchen zu begrenzen, indem auf die Produktionen abgestellt wird, die am stärksten von der Einschleppung und Ausbreitung des Virus bedroht sind. Dieses Szenario erfordert eine größere Verfügbarkeit von Impfstoffen als Szenario 1.

Szenario 3: Wenn die Verfügbarkeit von Impfstoffen es zulässt, Impfung von Wasservögeln und Puten, die in Ställen gehalten werden, Freiland-Broilern und Freiland-Legehennen.

Die Wirksamkeit der vorgeschlagenen Szenarien basiert auf den folgenden Annahmen und Bedingungen:

1) im Herbst 2023 ist der epidemiologische Kontext identisch mit dem heutigen (H5N1-Virusstamm ähnlich dem, der während der Saison 2022-2023 zirkulierte);

2) das verfügbare Angebot an Impfstoffen ermöglicht die Impfung jeder Art und führt zu einer kollektiven Immunität;

3) die Impfstrategie steht im Einklang mit der Zeit, die zum Erwerb der Immunität nach Verabreichung des Impfstoffs benötigt wird, und mit der Dauer des Impfschutzes;

4) die Impfstrategie ist mit der landwirtschaftlichen Praxis vereinbar, insbesondere in logistischer und wirtschaftlicher Hinsicht.

Schließlich erinnert die ANSES daran, dass die Impfung nur eines der Mittel zur Bekämpfung von HPAI (Hochpathogene Aviäre Influenza) ist. Eine ordnungsgemäße Anwendung von Biosicherheitsmaßnahmen bleibe die wirksamste Maßnahme, um Einschleppung und Ausbreitung von Erregern innerhalb und zwischen Betrieben zu verhindern.

Darüber hinaus erfordere die Impfung, falls sie durchgeführt würde, ein verstärktes Überwachungsprotokoll für geimpfte Betriebe, um jene, die sich dennoch als infiziert erweisen, so schnell wie möglich zu erkennen und Keulungen vornehmen zu können.

Vier Szenarien der französischen Geflügelwirtschaft
Auch eine Arbeitsgruppe aus Vertretern der französischen Geflügelwirtschaftsverbände, Pharmaunternehmen und der Tierärzteschaft hat verschiedene Impfszenarien erarbeitet, die neben den Kosten auch den Arbeitsaufwand in den Blick nehmen. Dr. Léni Corrand, Tierarzt bei ANIBIO, stellte sie bei der bereits erwähnten FVE-Veranstaltung vor.

Szenario 1: Für Risiko-Populationen in Hoch-Risiko-Gebieten zu Hoch-Risiko-Zeiten: Enten und Truthähne vom 1. November bis 30. April

45-50 Mio. Impfdosen (25 Mio. in der Aufzucht, 20-25 Mio. in Betrieben)
Kosten für das Impfprogramm: € 12-13,5 Mio.
(Impfstoff € 4,2-6,6 Mio. – Applikation € 7-8,2 Mio.)
Arbeitskräftebedarf: 37-42 Full-Time-Jobs über 9 Monate
Monitoring € 22,3 Mio. (27.000 Tierarztbesuche)

Szenario 2: Schutz der empfindlichsten und „langlebigen“ Arten, ganzjährig:
Enten, Truthähne, Legehennen und Kapaune

177-309 Mio. Impfdosen (129 Mio. in der Aufzucht, 48-180 Mio. in Betrieben)
Kosten für das Impfprogramm: € 52-72,5 Mio.
(Impfstoff € 30,2-31,8 Mio. – Applikation € 19,2-42,3 Mio.)
Arbeitskräftebedarf: 62-198 Full-Time-Jobs
Monitoring € 87,9 Mio. (106.000 Tierarztbesuche)

Szenario 3: Schutz von 60 % der Gesamtpopulation, ganzjährig
Enten, Truthähne, Legehennen und Hühner älter als 42 Tage

478-709 Mio. Impfdosen (430 Mio. in der Aufzucht, 48-279 Mio. in Betrieben)
Kosten für das Impfprogramm: € 89-129,4 Mio.
(Impfstoff € 60,9-62,1 Mio. – Applikation € 26,8-68,5 Mio.)
Arbeitskräftebedarf: 62-454 Full-Time-Jobs
Monitoring € 124,0 Mio. (150.000 Tierarztbesuche)

Szenario 4: Maximale Immunität der Gesamtpopulation in Frankreich, ganzjährig: alle Vögel ausgenommen Nachzucht und einige Wildvogelarten

1.088-1.319 Mio. Impfdosen (1.006 Mio. in der Aufzucht, 82-313 Mio. in Betrieben)
Kosten für das Impfprogramm: € 186,1-189,1 Mio.
(Impfstoff € 94,8-133,4 Mio. – Applikation € 52,7-94,3 Mio.)
Arbeitskräftebedarf: 105-846 Full-Time-Jobs
Monitoring € 139,7 Mio. (164.000 Tierarztbesuche)

Speziell für das Monitoring müssten sich die Franzosen im Hinblick auf den Personalaufwand in allen Szenarien etwas einfallen lassen: Von 19.000 praktizierenden Tierärzten im Land sind nur 250 ausgewiesene Geflügelspezialisten.

Link zur Veranstaltung FVE/PVSG-EU: Highly Pathogenic Avian Influenza preparedness webinar

Nationale Agentur für Lebensmittel-, Umwelt- und Arbeitsschutz (ANSES)

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