Übertragung von Carbapenem- und colistinresistenten Bakterien in deutschen Putenhaltungen

Der TiHo-Professor Manfred Kietzmann hat 2019 zur Situation in der Geflügelhaltung geschrieben: „Da Carbapeneme bis dato der Goldstandard zur systemischen Therapie schwerer Infektionen gramnegativer Keime waren, stellen Carbapenem-Resistenzen eine große Herausforderung dar und schränken die Therapieoptionen enorm ein.“ (1)

Das Niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES) hat nun, gemeinsam mit anderen Institutionen, untersucht ob eine durch Genveränderung hervorgerufene Resistenz bei Enterobakterien in Putenställen und bei den Tierhaltern nachweisbar und eine direkte Übertragung durch den Kontakt zwischen Menschen und Tieren möglich ist. Wir sprachen mit der Tierärztin und Hauptautorin der Studie Katja Nordhoff vom LAVES.

1) Methoden:

Katja Nordhoff, LAVES

Frau Nordhoff: Puten sind am wahrscheinlichsten Träger von mcr-positiven Colistin-resistenten Enterobacterales (mcr-Col-E). Sie haben untersucht, wie oft diese und Carbapenemase-produzierende Enterobacterales (CPE) vorkommen. Erklären Sie uns zunächst, was diese komplizierten Fachbegriffe bedeuten?

Colistin-Resistenz gibt es schon lange, und bei einigen Bakterien ist sie einfach mit eingebaut. Eine neue Komponente gibt es seit 2016, als die mcr-vermittelte Colistin-Resistenz entdeckt wurde. Das Kürzel „mcr“ steht für „mobile Colistin Resistenz“ und die befindet sich auf einem Plasmid, einem kleinen, runden Erbgutabschnitt, den Bakterien untereinander austauschen können. Und genau das ist das Problem.

Die Colistin-Resistenzen, die vorher bekannt waren, sind fest im Erbgut der jeweiligen Bakterien eingebaut, aber diese plasmid-vermittelte Resistenz können Bakterien nun austauschen – und das tun sie auch. Darum haben, als das entdeckt worden war, viele in ihren Gefrierschränken nachgeschaut, ob die Bakterien, die sie als Colistin-resistent eingefroren hatten, vielleicht diese Colistin-Resistenz auch aufgrund dieses Plasmids aufwiesen, und sehr viele Bakterien enthielten dieses Plasmid. Das macht es natürlich gefährlicher, weil sie die Resistenz auf andere Bakterien übertragen können, und zwar nicht nur der eigenen Sorte, sondern auch auf andere Bakterienarten.

Die Carbapenemasen wiederum stellen eine andere Form der Antibiotika-Resistenz dar. Die Colistin-Resistenz über das mcr-Gen z. B. vermittelt eine Methode, wie das Bakterium sich vor dem Antibiotikum schützen kann, nämlich indem das Antibiotikum an der entsprechenden Bindungsstelle nicht mehr andocken kann.

Bei den Carbapenemasen wird das Carbapenem aufgeknackt und ist dann komplett wirkungslos. Was ein echtes Problem darstellt, weil Carbapeneme auch beim Menschen eingesetzt werden, wenn nichts anderes mehr hilft.

In der Humanmedizin wird Colistin wegen seiner starken Nebenwirkungen nicht gerne eingesetzt. Es ist nephrotoxisch und neurotoxisch, und viele Menschen sind nach einer Colistingabe zumindest vorübergehend dialysepflichtig. Weil die Carbapenemasebildner aber so zunahmen, hat die Humanmedizin in manchen Fällen trotzdem wieder auf Colistin zurückgegriffen.

Die Zunahme Carbapenem-resistenter Erreger war vor allem ein Problem südlicher Länder, in Indien angefangen, richtig?

Wir sehen bei Resistenzen häufig einen solchen Nord-Süd-Shift. In Deutschland ist die Situation noch günstiger als etwa in Südeuropa. Die Carbapenemasebildner sind ein klassisches One-Health-Problem. In der Veterinärmedizin allein stören die uns gar nicht. Sie kommen bei uns quasi nicht vor, Carbapeneme sind nicht zugelassen und werden nicht eingesetzt.

Sie haben Menschen und Tiere – Stichwort „One-Health“ – untersucht: wie lief das genau ab?

Wir haben lange überlegt, wie wir das insgesamt organisieren, und am Ende wurden diese Untersuchungen an das Zoonosen-Monitoring angehängt. Im Rahmen dieses Monitorings besuchen die kommunalen Veterinärbehörden ohnehin Putenhaltungen, und sie haben sich bereit erklärt, noch zusätzliche Proben zu nehmen. Auch die NGW und das Landvolk haben uns freundlicherweise unterstützt.

Also wurden Sockentupferproben genommen – man zieht dafür eine Art Socken über die Stiefel und läuft damit mehrmals durch den Stall. Was daran hängenbleibt, wird im Labor untersucht.

Während die Amtsveterinär:innen auf dem Betrieb waren, haben sie die Betriebsmitarbeitenden und ihre Familienmitglieder gefragt, ob sie sich nicht selbst auch untersuchen lassen wollen. Dafür haben wir, gemeinsam mit dem Niedersächsischen Landesgesundheitsamt (NLGA), Kits mit einem sehr ausführlichen Aufklärungsbogen und einem Röhrchen für Stuhlabstriche zusammengestellt. Wir durften über 200 Kits abgeben, und 46 Leute waren bereit mitzumachen. Natürlich hätten wir gerne noch mehr Proben untersucht, aber ein Rücklauf von 22 % ist für Stuhlproben schon ganz gut.

Beim LAVES wurden dann die Sockentupfer und beim NLGA die Stuhlproben mit denselben Methodenuntersucht und in eine Anreicherungs-Bouillon gegeben, die bereits Colistin enthielt. Und das ist der große Unterschied unserer Untersuchung zu bisher vorliegenden Daten, nicht besser oder schlechter, aber anders:

Die bisher vorliegenden Zahlen waren klassische Monitoringwerte, das heißt, man nimmt eine Grundgesamtheit kommensaler Colis und untersucht sie auf Resistenzen. Die Grundgesamtheit ist dann alles, was eben in diesem Stall vorkommt und wie viele Keime davon Colistin-resistent sind, ist letztendlich Zufall.

Wir haben nun quasi mit dem Metalldetektor nach der Nadel im Heuhaufen gesucht, um herauszufinden, wie groß das Problem denn potentiell sein könnte, wenn wir auch nach Keimen suchen, die sich in der hintersten Ecke verstecken. Darum lassen sich unsere Zahlen auch nicht so gut mit Zahlen aus früheren Studien vergleichen.

Für die Puten haben wir uns entschieden, weil das BfR bei denen ungefähr 17% mcr-vermittelte Colistin-Resistenzen berichtet hatte. Nun sind unsere Zahlen ja sehr viel höher, weil wir mit dieser Anreicherung gearbeitet haben und wir überhaupt nur die Keime bearbeitet haben, die diese Bouillon überlebt haben. Die kamen dann in eine PCR, um nach den mcr-Genen zu suchen.

In einem weiteren Arbeitsschritt wurde bestimmt, welche mcr-Gene genau vorkamen – es gibt ja mittlerweile zehn verschiedene davon. Dann wurden noch mal einige ausgewählt und sequenziert, um zu sehen, ob Menschen und Tiere genau die gleichen Keime haben und die untereinander austauschen. Schließlich wurden am Uniklinikum Münster noch die Plasmide sequenziert, um zu schauen, ob die Keime ein identisches Plasmid ausgetauscht haben.

Das klingt ja richtig nach Arbeit?

Ja! Zum Glück wurde die Arbeit auf mehrere Labore und Schultern verteilt.

2) Ergebnisse

Jetzt wird’s spannend: Zu welchen Ergebnissen sind Sie denn gekommen?

Wir haben 175 Putenherden beprobt, und die erwähnten 46 Human-Proben. Die Putenherden können wir noch genauer beschreiben: 153 konventionelle Betriebe, 14 Bio-Betriebe, und bei 8 hatten wir leider keine Angaben zur Haltungsform. Die allermeisten Betriebe hatten im aktuellen Mastdurchgang kein Colistin angewandt: 130 Herden oder 74,3 % waren unbehandelt. 45 hatten Colistin eingesetzt, davon 35 einmal, 8 zweimal, 1 dreimal und 1 mehr als dreimal.

Carbapenem-Resistenzen haben wir weder bei Menschen noch Tieren gefunden – das ist schon mal die erste gute Nachricht. Bei den Menschen wurden in 4 von 46 Proben Colistin-resistente Colis nachgewiesen. Das ist auf jeden Fall ein deutlich höherer Wert, als man ihn für die Durchschnittsbevölkerung erwarten würde.

Zusätzlich haben wir Risikofaktoren abgefragt, weil bekannt ist, dass Menschen eher mit colistinresistenten Keimen besiedelt sind, wenn sie beispielsweise Kontakt mit Tieren oder Antibiotika genommen haben, wenn sie im Krankenhaus arbeiten und – ein ganz typischer Risikofaktor – wenn sie in bestimmte Länder gereist waren. Und tatsächlich hatte eine Person eine Reise unternommen, für die restlichen drei besiedelten Personen lagen aber keine Risikofaktoren vor.

Von den Putenherden waren 123 positiv, das heißt, sie hatten irgendeinen Nachweis von mcr-positiven Enterobacterales. In 121 Fällen waren es E. coli und zweimal Klebsiellen. Wenn wir dann behandelte und unbehandelte Herden vergleichen, kommen wir auf eine Prävalenz von 82,2 % in den 45 mit Colistin behandelten Herden und 66,2 % in den 130 nicht-behandelten Herden. Vor allem letzterer ist schon ein sehr hoher Wert, mit dem wir nicht gerechnet hatten.

Und dann gibt es noch mal einen großen Unterschied zwischen konventionellen und Bio-Herden. Auch wenn es mit 14 nur wenige Bio-Herden gab, hatten wir dort eine Prävalenz von 7,1 % verglichen mit 74,5 % bei den konventionellen Herden.

Warum gibt es aber überhaupt positive Fälle in der Bio-Haltung?

Na ja, auch Bio-Betriebe arbeiten nicht im luftleeren Raum oder im sterilen Stall. Entwicklung und Weiterverbreitung von Resistenzen ist zunächst ein natürlich vorkommendes Phänomen und – trotz der Einschränkungen bei Bio – dürfen Antibiotika dort eingesetzt werden, was für das Tierwohl auch wichtig ist. Aber irgendetwas machen die Bio-Betriebe anders und auf jeden Fall richtig. Das Nichtbehandeln allein kann es nicht sein, wenn unbehandelte konventionelle Herden trotzdem noch zu 71,6 % positiv sind.

3) Ausblick

Noch ein Kietzmann-Zitat: „CPE besitzen die Fähigkeit bestimmte Antibiotika zu spalten und somit unwirksam zu machen. Diese Fähigkeit verdanken sie dem Enzym Carbapenemase. Dieses ist in der Lage eine Vielzahl gut wirksamer Antibiotika zu spalten.“ Die gute Nachricht ist, dass bei Ihren Untersuchungen weder bei Menschen noch Puten CPE (Carbapenemase-produzierende Enterobacterales) gefunden wurden. Aber eine echte Entwarnung ist das trotzdem nicht oder?

Was Antibiotika-Resistenzen angeht, gibt es die nie. Aber bei den Carbapenem-resistenzen sehe ich durch meine tierärztliche Brille nicht so schwarz. In Deutschland sehen wir bei Nutztieren wirklich selten CPE, sporadisch mal in einzelnen Schweine- oder Geflügelbetrieben. Und sogar die Humanmedizin geht davon aus, dass die zoonotische Übertragung in Deutschland kein relevanter Auslöser für das Auftreten von CPE in der Bevölkerung darstellt.

Außerdem werden neue antibiotische Wirkstoffe als Alternativen zum Colistin entwickelt wie Ceftazidim oder Avibactam. Aber wir sind schon recht froh, dass wir auch nach dieser Anreicherung festgestellt haben: sie sind nicht überall, auch wenn man ganz genau hinschaut.

Das BfR ist im Bereich der Carbapenemresistenzen sehr engagiert und hat die wenigen Betriebe, in denen CPE gefunden wurden, nochmal nachuntersucht, denn umgekehrt können antibiotika-resistente Keime natürlich auch vom Menschen aufs Tier übertragen werden. Bei der Tuberkulose etwa müssen wir heute häufig die Kühe vor den Menschen schützen.

Ist nach den Ergebnisse Ihrer Studie jetzt ein regelmäßiges Monitoring geplant?

Das gibt es ja bereits: im Zoonosen-Monitoring wird jedes Jahr auch auf Colistin-Resistenz untersucht. Aber wir sollten weiterhin genau hinschauen, woher die hohe Prävalenz in den unbehandelten konventionellen Herden kommt und was wir von den Bio-Herden lernen können.

Das Colistin wird uns sicher noch eine Weile beschäftigen, weil es ein gewisses Alleinstellungsmerkmal besitzt, wie es ja auch Prof. Kietzmann beschreibt. Natürlich könnten wir Colistin in der Veterinärmedizin verbieten, aber: auch Tiere müssen weiter behandelt werden können!

Und Colistin wirkt beim Geflügel ja tatsächlich super.

Veterinärmedizinisch ist das ein tolles Mittel: es wird nicht resorbiert, wirkt lokal im Darm, aber dass es so „durchrutscht“, ist einer der möglichen Gründe für das häufige Vorkommen von Resistenzen. Colistin, das im Stall liegenbleibt, ist sehr stabil, und auch die Plasmide halten sich lange.

Für Schweinehaltungen in Thailand wurde z. B. untersucht, wie lange mcr-vermittelt colistinresistente Bakterien nach dem Absetzen von Colistin nachgewiesen werden können: bei den Beschäftigten waren sie ein halbes Jahr später noch auffindbar, bei den Schweinen und im Abwasser auch nach dreieinhalb Jahren noch. Im Sinne des One-Health-Ansatzes müssen wir also weiter am Ball bleiben.

Frau Nordhoff: herzlichen Dank für das Gespräch!

(1) „Goldstandard“ in der Humanmedizin

Link zur Original-Studie

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