Nabelgesundheit beim Kalb: Goldstandard Desinfektion oder nur bei Hygienemängeln nötig?

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Nabelentzündungen beim Kalb sind eine regelmäßig vorkommende Erkrankung. Aktuell sind 20,9 % der noch nicht abgesetzten Kälber davon in Deutschland betroffen. Zur Vorbeugung wird oftmals eine frühzeitige Desinfektion des Nabels nach der Geburt empfohlen. Doch hierzu gibt es kontroverse Ansichten. Inwiefern diese Empfehlungen wissenschaftlich belegt sind, hat eine Literaturrecherche* über die Veröffentlichungen zu dieser Thematik über die letzten 40 Jahre untersucht.

Es wurden nur Studien betrachtet, in denen die Effektivität dieser Maßnahme hinsichtlich der Vorbeugung von Nabelinfektionen untersucht wurde. Insgesamt konnten nur 6 Studien gefunden werden, die den Effekt einer Nabeldesinfektion als vorbeugende Maßnahme untersucht haben. Die Studien unterschieden sich hinsichtlich der eingesetzten Desinfektionsmittel, der Tierzahl, dem Geschlecht der Kälber und der Dauer sowie der Technik der Untersuchung.

Die verwendeten Desinfektionsmittel wurden durch ein einmaliges Dip-Verfahren auf die Nabelschnur aufgebracht. Genutzt wurden Jod-Lösungen (7 %, 0,5 bis 2 %), Chlorhexidin (4 %), Chlor-Lösung (0,1 %), Trinatriumcitrat (10 %), Trocken-Nisin mit Talkumpuder, Flüssig-Nisin und einige weitere Produkte. In der Regel erfolgte die Nabeldesinfektion direkt nach dem Entdecken der neugeborenen Kälber bzw. innerhalb der ersten 30 Minuten nach der Geburt. Die Nabelschnur wurde gekürzt auf etwa 40 mm und dann in die Desinfektionslösung getaucht. Eine Studie fand heraus, dass Kälber mit einer kurz abgerissenen Nabelschnur ein höheres Risiko einer Infektion hatten als die Kälber mit längerer Nabelschnur. Eine andere Studie zeigte, dass Kälber mit einer feuchten Nabelschnur eine höhere Wahrscheinlichkeit hatten, dort eine Infektion zu entwickeln, als Kälber mit gut abgetrocknetem Nabel.

Lediglich in einer Studie konnte ein vorbeugender Effekt der Desinfektion nachgewiesen werden. Keine einzige Studie zeigte eindeutig, dass die Desinfektion mit 7 %iger Jod-Lösung der Goldstandard bei der Nabeldesinfektion ist. Grundsätzlich wiesen alle Studien methodische Mängel auf, so dass letztlich keine definitive Aussage darüber getroffen werden kann, ob sich eine Nabeldesinfektion beim Kalb positiv auf die Nabelgesundheit auswirkt.

Interessant ist vor allem die Frage, ob bei Fehlen der Risikofaktoren unhygienische Abkalbebox, ungünstiges Geburtsmanagement, schlechte Kolostrumversorgung und schlechte Iglueinstreu eine Nabeldesinfektion gar nicht nötig ist. Oder andersherum gefragt, ob eine Nabeldesinfektion nur dann sinnvoll ist, wenn die genannten Risikofaktoren vorhanden sind und auf das Kalb einwirken.

* Lange, Dorothee et al.: Auswirkung einer Nabeldesinfektion auf die Nabelgesundheit beim Kalb. Tierärztliche Praxis Großtiere Nutztiere 2022; 50: 157-162.

Quelle: Dr. Heike Engels, Der Hoftierarzt

Zuerst erschienen im E-Magazin „Der Hoftierarzt“ 4/23