Von idealen und realen Welten oder: wie viele Nutztiere wollen wir uns leisten?

Bild von Greg Montani auf Pixabay

Dem Münchner Professor Wilhelm Windisch verdanken wir die Faustformel, dass für jedes Kilo essbare Pflanzenmasse vier Kilo nicht-essbare Pflanzenteile auf dem Acker wachsen, die nur über die Mägen von Nutztieren veredelt und so für die menschliche Ernährung genutzt werden können (1). Setzten wir diese Erkenntnis in der Praxis um, würde die Gesamtmenge an menschlicher Nahrung und gleichzeitig deren veganer Anteil steigen. Nutztiere bekämen nichts mehr zu fressen, was auch der menschlichen Ernährung dienen kann, wie etwa Getreide.

In einer idealen Welt ein wichtiger Schritt im Kampf gegen den Hunger. Aber was bedeutet das genau? Schon 2014 haben ein paar schlaue Schweizer die Folgen untersucht (2) und berechnet, wie sich die Tierbestände ihres Landes verändern würden und zwar im Bio-Standard.

Es ergäben sich folgende Rückgänge:

Rindfleisch -40%
Milch(produkte) -30%
Schweinefleisch -70%
Geflügelfleisch -99%
Eier -95%

Bei solchen Zahlen staunt nicht nur der Laie. Wenn Wirtschaftsgüter sich verknappen, steigen unweigerlich die Preise. Statt Frühstücksei gäbe es für Schweizer in Zukunft also eher Kaviar, weil der dann billiger wäre.

10 Jahre später veröffentlichen nun Forscher der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL weitere Berechnungen (3), „welche Tierbestände in der Schweiz notwendig sind, um die Graslandflächen sowie Nebenprodukte optimal für die Lebensmittelproduktion zu nutzen“.

Bei einer Volksabstimmung am 18. Juni 2023 wurde nämlich ein „Klima- und Innovationsgesetz“ von 58% der Wahlberechtigten befürwortet und nun gibt es in der Schweiz eine „Klimastrategie des Bundes für das Jahr 2050“ (4), der zufolge Ackerflächen in erster Linie für die Nahrungsmittelproduktion genutzt werden sollen.

Andrina Stettler und Stefan Probst schreiben zu ihrer Methodik: „Nach Abzug des (Rauhfutter-) Verzehrs des aktuellen Ziegen- und Schafbestands wurde ermittelt, wie viele Rinder es braucht, um das Raufutter zu verwerten. Die benötigte Anzahl Schweine wurde anhand der Molke, die nicht für die Nahrungsmittelproduktion eingesetzt wird, berechnet. Die anfallenden Nebenprodukte wurden soweit möglich den Schweinen und der Rest den Rindern zugeteilt.“ Extraktionsschrote, Zuckerrübenschnitzel und ähnliches würden also weiterhin verfüttert, Getreide oder etwa Sonnenblumenkerne nicht mehr.

Der Bestand an Milchkühen läge dann bei 545 485 Tieren, die gesamten Rinder- GVE bei 888 416 (2023: 1,53 Mio. Milch- und Mutterkuhhaltung). „Der Schweinebestand würde sich auf rund ein Drittel des aktuellen Bestands reduzieren.“ Im Jahr 2023 wurden 1.324.860 Tiere in der Schweiz gezählt. „Mutterkühe, Mastkälber und Geflügel gäbe es keine mehr“, heißt es dann weiter in der Studie. Aber „das anfallende Schlachtgewicht der Rindergattung bliebe auf ähnlichem Niveau“, weil Milchkühe und Kälber, die nicht der Remontierung dienen, weiterhin geschlachtet werden könnten.

Aber ist es denn vorstellbar solche Konzepte in die Tat umzusetzen? Wohl kaum. Auch wenn dem Schweizer das Zürcher Geschnetzelte erhalten bliebe, würde er vermutlich nicht komplett auf Eier und Geflügel verzichten wollen. Der Preis für Schweinefleisch dürfte drastisch steigen und Eier würden zum Luxusprodukt (Studie 2014) oder müssten komplett importiert werden (Studie 2023).

Apropos Import: Der gesamte Fleischkonsum der Schweizer Bevölkerung betrug im Jahr 2021 456 034 Tonnen. Im gleichen Jahr wurden u. a. 45 296 Tonnen Geflügelfleisch, 26 853 Tonnen Fleisch vom Großvieh und 14 223 Tonnen Schweinefleisch, zusammen also 86.372 t importiert (5). Derzeit liegt der Schweizer Selbstversorgungsgrad mit Fleisch bei etwa 80%, zukünftig würde er sich dann wohl in Richtung 50% bewegen.

Die eigene Klimagerechtigkeit durch Produktions-Verlagerungen ins Ausland zu erreichen, erfreut sich zwar allerorten steigender Beliebtheit, hilft dem Weltklima aber eher wenig. Wie auch bei anderen Plänen und Modellen fragt man sich, ob deren Folgen einer nennenswerten Anzahl Bürger überhaupt verdeutlicht werden.

Fußnoten:
(1) Ausführliches Interview mit Prof. Windisch

(2) Szenario für die Schweiz: nur noch nicht essbare Biomasse an Nutztiere in ökologischer Tierhaltung – Züricher Hochschule für Agrarische Wissenschaften, zhaw 2018

(3) Andrina Stettler und Stefan Probst – Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL, 3052 Zollikofen, Schweiz
Wie viele Nutztiere braucht die Schweiz zur optimalen Landnutzung?

(4) Klimastrategie des Bundes für das Jahr 2050

(5) Schweizer Agrarbericht 2020