Aktuelle Umfrage zum selektiven Trockenstellen zeigt: Angst vor Neuinfektionen ist groß

Foto: Matthias Beckmann auf Pixabay

Von Dr. med. vet. Martin tho Seeth, Fachtierarzt für Milchhygiene und Dr. med. vet. Kerstin Duncker, Virbac Tierarzneimittel

Der prophylaktische Einsatz von Antibiotika ist nicht mehr erlaubt. Wenn selektives Trockenstellen strategisch geplant wird, können Antibiotika erfolgreich reduziert und Risiken minimiert werden. Wie das genau funktioniert, erfahren Sie hier.

Eutergesundheitsstörungen stellen Milchviehbetriebe vor große Herausforderungen und sind auch heute noch der häufigste Grund für den Einsatz von Antibiotika. Die Trockenstehzeit spielt für die Eutergesundheit einer Milchviehherde eine wichtige Rolle. Das Eutergewebe kann sich von der vorangegangenen Laktation regenerieren, und die Trockenstehzeit bietet eine gute Möglichkeit zur Ausheilung bestehender Infektionen. Zu Beginn sowie am Ende der Trockenstehzeit und während der ersten Laktationstage besteht jedoch auch ein erhöhtes Risiko für Neuinfektionen, welche durch ein optimales Management möglichst vermieden werden sollten. Die Anwendung antibiotischer Trockenstellpräparate bei Milchkühen ist seit vielen Jahren in Deutschland weit verbreitet. Jedoch profitieren nicht alle Tiere gleichermaßen von dieser Therapie. Antibiotische Behandlungen sind nur bei bestehenden Infektionen sinnvoll, und auch der beteiligte Mastitiserreger hat neben weiteren Faktoren Einfluss darauf, wie effektiv eine antibiotische Therapie wirklich ist. Die Verordnung 2019/6 der Europäischen Union (EU), welche seit 2022 in Kraft ist, verbietet den prophylaktischen Einsatz antibiotischer Präparate. Zur Vermeidung von Neuinfektionen in der Trockenstehzeit gibt es zudem effektive Alternativen wie z. B. eine gute Anwendungs- sowie Haltungshygiene, interne Zitzenversiegler und die Vermeidung geburtsnaher Erkrankungen.

Erprobte Konzepte verfügbar
Selektive Trockenstellprogramme, die mit einer Überprüfung sowie gegebenefalls Optimierung des Eutergesundheitsmanagements einhergehen und ein effektives Monitoring der Eutergesundheit voraussetzen, stellen eine sinnvolle Möglichkeit dar, den Verbrauch an antibiotischen Präparaten zu senken, ohne die Eutergesundheit der Milchviehherde zu gefährden. Die Identifizierung der Tiere bzw. Euterviertel, welche von einer antibiotischen Trockenstelltherapie profitieren, kann über verschiedene Wege gelingen. In der Praxis hat sich beispielsweise die Kombination aus somatischer Zellzahl der letzten Milchleistungsprüfung und einem Schalmtest am Tag des Trockenstellens bewährt. Aber auch Konzepte, welche beispielsweise auf einer bakteriologischen Untersuchung von Milchproben vor dem Trockenstellen basieren, sind natürlich möglich. Mittlerweile ist der Wissensstand bezüglich funktionierender sowie praktikabler Konzepte zum selektiven Trockenstellen sehr umfassend, und Studien liefern weiterhin neue wichtige Erkenntnisse. Trotzdem gibt es noch immer viele milchviehhaltende Betriebe, die sich mit Blick auf das selektive Trockenstellen Sorgen um die Eutergesundheit ihrer Milchviehherde machen. Dies ist einerseits verständlich und zeigt andererseits, dass es Bereiche gibt, in denen die tierärztliche Beratung auf den Betrieben noch Verbesserungspotential besitzt.

Abb. 1

Viele Betriebe haben dennoch Sorgen
Aufgrund der Tatsache, dass es trotz des aktuellen Wissenstands noch viele gefühlte Hürden bezüglich des Einstiegs in das selektive Trockenstellen gibt, wurde im August 2023 eine anonyme Online-Umfrage gestartet. Die Umfrage richtete sich gezielt an Betriebe, für die das selektive Trockenstellen bisher nicht zur festen Arbeitsroutine gehörte. Abgefragt wurden betriebliche Daten, die Erwartungen an das antibiotische Trockenstellen und mögliche Probleme, welche im Zusammenhang mit dem selektiven Trockenstellen in den Betrieben befürchtet werden oder bereits aufgetreten sind. Ziel war es, mögliche Bedürfnisse, Sorgen und Probleme der Landwirtinnen und Landwirte in Bezug auf das selektive Trockenstellen zu beleuchten, um einen möglichen Beratungsbedarf zu identifizieren. Auf diesem Weg soll die Kommunikation zwischen Tierarztpraxis und milchviehhaltendem Betrieb verbessert, die Beratung zum Thema Trockenstehzeit und selektivem Trockenstellen optimiert und zur Zukunftsfähigkeit der Milchviehbetriebe beigetragen werden.

Umfrage zeigt, wo noch Beratungsbedarf besteht
Insgesamt haben 115 Milchviehbetriebe aus unterschiedlichen Regionen Deutschlands, aber auch Österreichs, an der Befragung teilgenommen. Die Umfrage zeigt, dass neben der geplanten Therapie in der Trockenstehzeit, mit dem Ziel der Ausheilung bestehender Infektionen, der Schutz vor Neuinfektionen bei vielen Betrieben weiterhin einer der Gründe ist, warum antibiotische Trockensteller eingesetzt werden. Auf die Frage „Was muss ein guter Trockensteller leisten?“ wurde in 42 % der abgegebenen Freitextantworten die Ausheilung bestehender Euterinfektionen genannt. In 43 % der Antworten wurde der Schutz vor Neuinfektionen angeführt (Abb. 1). Hierzu passen die Antworten auf die Frage „Welche Probleme befürchten Sie, wenn Sie Kühe ohne antibiotischen Trockensteller trockenstellen?“. 11,5 % der Betriebe gaben an, keine Befürchtungen zu haben. 88,5 % der Betriebe gaben an, Befürchtungen zu haben und nannten diese als Freitextantwort. In 34 % der Antworten wurden vermehrten Neuinfektionen bzw. erhöhte somatische Zellzahlen genannt, in 53 % vermehrte Euterentzündungen und in 8 % die Befürchtung eines Verlusts von Heilungsraten, wenn auf ein antibiotisches Trockenstellen verzichtet wird (Abb. 2). Zudem beschreibt der Großteil der teilnehmenden Betriebe, dass genau diese Probleme im Zusammenhang mit dem selektiven Trockenstellen bereits aufgetreten sind (Abb. 3).

Selektives Trockenstellen – gemeinsam mit der Hoftierarztpraxis zum Erfolg
An diesen Beispielen zeigt sich bereits, dass hinsichtlich des Transfers der umfassenden wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema Trockenstehzeit und selektivem Trockenstellen in der Praxis noch Optimierungsbedarf besteht. In vielen Betrieben steht hinsichtlich des antibiotischen Trockenstellens der Präventionsgedanke im Vordergrund. An dieser Stelle sollte die Beratung ansetzen und Alternativen zum Schutz vor Neuinfektionen in der Trockenstehzeit aufzeigen. Dabei sollte beispielsweise gezielt die Haltungshygiene in der Trockenstehzeit bis in die frühe Laktation, die Anwendungshygiene beim Trockenstellen, das Auftreten abkalbenaher Erkrankungen und die Möglichkeit der Anwendung eines internen Zitzenversieglers überprüft werden. Dies verbessert nicht nur die Prävention von Infektionen in der Trockenstehzeit, sondern hilft auch dabei, mögliche Ursachen für bereits aufgetretene Probleme bezüglich des selektiven Trockenstellens zu finden. Besonders das Auftreten klinischer Euterentzündungen während der Trockenstehzeit ist mit 26 % ein häufig genanntes Problem. Auch in der Praxis sind diese Euterentzündungen immer wieder zu beobachten. Sie sind ein deutlicher Hinweis auf eine mangelnde Hygiene bei der Anwendung von internen Zitzenversieglern während des Trockenstellens sowie auf eine nicht ausreichende Haltungshygiene in der frühen Trockenstehzeit. Ein antibiotischer Trockensteller kann diese Mängel zumindest während des Trockenstellens und in der frühen Trockenstehzeit teilweise kaschieren. Daher muss die eigene Anwendungs- und Haltungshygiene zum Start ins selektive Trockenstellen kritisch bewertet und bei Bedarf optimiert werden.

Sinnvolle Kriterien im Rahmen eines selektiven Trockenstellkonzepts sind wichtig, um Tiere bzw. Euterviertel zu identifizieren, welche von einer antibiotischen Therapie profitieren. Das Konzept sollte gemeinsam mit der Tierarztpraxis erarbeitet, an die individuellen Bedingungen angepasst und der Erfolg regelmäßig anhand der Eutergesundheitskennzahlen überprüft werden. Wichtig erscheint hier, das antibiotische Trockenstellen im Rahmen des betrieblichen Eutergesundheitskonzepts eindeutig als geplante Therapie zu etablieren und die Prävention durch die bereits genannten Alternativen sicherzustellen.

Literatur auf Anfrage bei den Autoren erhältlich.
Zuerst erschienen im E-Magazin „Der Hoftierarzt“ 2/2024