Prof. Dr. Ingo Pies, Wirtschaftsethiker von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, eröffnete gestern das DLG-Impulsforum „Konflikte überwinden im ländlichen Raum“, mit einem fulminanten Vortrag zur öffentlichen Diskussion über Landwirtschaft von heute und von morgen.
Ausgehend von der Unzufriedenheit mit dem Status quo auf allen Seiten fragte er, ob wir es mit einem Markt- oder Politikversagen zu tun haben? Trafen sich früher Agrarlobbyisten mit Ministerialen gerne mal zum Essen, um über zukünftige politische Ausrichtungen zu plaudern, so der Professor aus Halle, fänden sich die Vertreter des Bauernverbandes in Diskussionsrunden heute nur noch als Minderheit unter zahlreichen Interessenvertretern der „Zivilgesellschaft“ wieder.
NGOs gäben heute Takt und Themen vor und lebten dabei eine „rationale Irrationalität“ aus. Dieser, von Bryan Caplan, eingeführte Begriff beschreibt Menschen, die umso fester an ihren Vorurteilen festhalten, je weniger sie persönlich die Kosten für deren Umsetzung tragen müssen. Beim Eigenheimkauf werden sämtliche Kosten genauestens abgewogen, in der Gemeindepolitik schon eher weniger und auf Bundes- oder gar Europa-Ebene wächst die Bedeutung der „sozialen Erwünschtheit“ in immer größere Höhen.
Gegen das Festhalten an liebgewonnenen Meinungen helfe auch keine Wissenschaft, wie Pies am Beispiel der Grünen Gentechnik erläuterte. Auch wenn unter Wissenschaftlern international weitestgehender Konsens bestünde, dass diese mindestens ebenso sicher sei, wie andere Züchtungsverfahren, lehnten doch 70% der Deutschen Gentechnik aus Sicherheitsgründen ab. Der Moralabsolutismus gelte aber auf beiden Seiten des Meinungsspektrums. So sagten 71% der Gentechnik-Gegner in einer Umfrage: „egal wie groß die Risiken und wie klein die Risiken sind, Gentechnik sollte verboten werden“ und 61% der Befürworter „egal wie groß die Risiken und wie klein die Risiken sind, Gentechnik sollte erlaubt werden“. Verbot und Erlaubnis seien für beide Gruppen zum Selbstzweck geworden.
„So kommt es zu Denkblockaden, die einer rationalen Urteilsfindung im Wege stehen und die Gefahr heraufbeschwören, dass gesellschaftliche Lernprozesse im Wege demokratischer Politikentscheidungen entgleisen können“ führte der Wirtschaftsethiker aus. In der Gentechnik-Diskussion z. B. folge die Argumentation der Kritiker generell moralischen Kategorien, enthalten viele empirisch fragwürdige Tatsachenbehauptungen und kritisierte häufig nicht die Gentechnik an sich, sondern vielmehr die Marktwirtschaft im Allgemeinen.
Weder sachliche noch emotionale Argumente von Seiten der Gentechnik-Befürworter könnten hier viel ausrichten. Spräche sich etwa die Leopoldina für eine EU-Rechts-Reform zu GVOs aus, würde sie öffentlich als Lobby-Organisation geschmäht. Kritisieren 158 Nobelpreisträger Greenpeace und werfen der bekannten NGO gar „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ vor, fände man kaum Medienberichte darüber.
Der Diskurs leide unter „Dichoto(ma)nie“ diagnostiziert Prof. Pies. Wenn es aber gelänge aus dem Denken in extremen Kategorien auszubrechen, würde der Blick frei für gemeinsame Interessen. Das Verhältnis von konventioneller zu alternativer Landwirtschaft dürfe nicht als reiner Interessenkonflikt wahrgenommen und Pro oder Contra Gentechnik jeweils einer Seite zugewiesen werden. Weil konventionelle Landwirtschaft ökologischer und alternative Landwirtschaft effizienter werden müsse, eröffne gerade die Grüne Gentechnik für beide Probleme neue Optionen.
Derzeit zeige sich aber eher, dass der Agrarsektor zum Gegenstand allgemein unrealistischer Erwartungen geworden sei. Denn: Würden Mittel als Ziele aufgefasst, als moralischer Selbstzweck, würden Sach- zu Identitätsfragen (gerade auch für Gruppen) und der gesellschaftliche Diskurs durch Schwarz-Weiß-Denken in reinen „Freund/Feind“ und „Gut/Böse“ Kategorien blockiert.
Das Fazit des Referenten lautete denn auch: „Wir müssen die institutionelle Verfassung unserer Diskurse neu ordnen, um das Seriositätsniveau und den Informationsgehalt der Auseinandersetzung anzuheben und verlorengegangenes Systemvertrauen herzustellen.“
Die gälte aber nicht nur für die Landwirtschaft, sondern sei vielmehr ein allgemeines Problem, ergänzte Pies in der anschließenden Diskussion. Das Niveau praktisch aller Diskurse in den westlichen Ländern bewege sich seit Jahrzehnten stetig nach unten (wahrscheinlich auch wegen des Einsatzes von „Social Media“). Gleichzeitig sinke das Vertrauen in Eliten, wie etwa Wissenschaftlern und auch die Standards an Wahrhaftigkeit seien im Verfall begriffen. Viele Organisationen nähmen am öffentlichen Diskurs teil, ohne sanktioniert zu werden, selbst wenn sie nachweislich die Unwahrheit sagten.
Erstens könnten hier Fakten Checker von Renommee für Abhilfe sorgen, zweitens NGOs – genau wie Unternehmen – für Wahrhaftigkeit in Haftung genommen und drittens dürfe die „Zivilgesellschaft“ nicht weiter als monolithischer Block wahrgenommen werden. Die Meinungsvielfalt aller Diskursteilnehmer müsse stärker hervorgehoben werden und eben dies verstehe er unter der genannten neu zu ordnenden institutionellen Verfassung.