Precision Livestock Farming in der Milchviehhaltung: Ein Überblick

Bild von Maria auf Pixabay

Von Dr. Joachim Lübbo Kleen, CowConsult

Digitalisierung, Big Data – das sind Schlagworte, die seit einigen Jahren auch mit der Milchviehhaltung in Verbindung gebracht werden. Nicht nur in der Fachpresse, auch in der allgemeinen Berichterstattung wird die zunehmende Verbreitung von Informationstechnologie auf Betrieben wahrgenommen. Nach einer Umfrage des Branchenverbandes Bitkom (Bitkom e.V. 2020) nutzen etwa 80 % der deutschen Landwirte in irgendeiner Form digitale Technologien. Es ist also angebracht, eine Übersicht über den aktuellen Stand des „Precision Livestock Farming“ in der Milchviehhaltung zu erhalten.

Mit „Digitalisierung“ wird eine Vielzahl unterschiedlicher Vorgänge beschrieben und es lassen sich zahllose Definitionen für diesen Begriff finden. Digitalisierung wird in der Nutztierhaltung häufig im Zusammenhang mit Sensortechnik, elektronischer Datenverarbeitung oder Autonomen Systemen wie Melkrobotern verwendet. Zunehmend wird hierfür der Oberbegriff des „Precision Livestock Farming“ (PLF) (Berckmans 2008) genutzt, der diese und andere Komponenten zusammenfasst. Unter PLF ist zu verstehen, dass Systeme wie Roboter und Sensoren zunehmend Daten erheben, welche durch standardisierte Rechenoperationen (Algorithmen) verarbeitet werden. Die Ergebnisse der Algorithmen deuten auf Veränderungen hin (z.B. sogenannte „Alarme“), diese dienen dann als Grundlage für Entscheidungen. Der Unterschied zur traditionellen, retrospektiven Entscheidungsfindung liegt hierbei in der unmittelbaren Verfügbarkeit und Verarbeitung von Daten, der Integration von Daten verschiedener Quellen und der daraus folgenden unmittelbaren Umsetzung einer Entscheidung.

Sensoren
Ein „Sensor“ ist ein „Messfühler“, der physikalische Werte erfasst und messen kann. Mit „Sensor“ wird im Bereich der Milchviehhaltung vor allem der Bereich der automatischen Brunsterkennung verknüpft; diese Anwendung ist verbreitet und der praktische Nutzen gut belegt. Beispielhaft sei hier die Arbeit von (Kempf 2016) erwähnt, in der von einer Brunsterkennungsrate von 95 % durch das Sensorsystem und einer Überlegenheit gegenüber visueller Brunstbeobachtung berichtet wird. Aber auch andere Parameter können durch Sensoren mittlerweile erfasst werden, auch wenn nicht alle Systeme schon marktreif sind. Ein biologischer Parameter kann hierbei durchaus durch unterschiedliche Sensortypen erfasst werden. Beispielhaft sei hier die Wiederkauaktivität genannt: Um das Wiederkauen der Tiere zu erfassen, können Beschleunigungssensoren (Reiter et al. 2018), Drucksensoren (Shen et al. 2020) oder Mikrofone (Vanrell et al. 2018) verwendet werden. Knight (2020) teilt die verfügbaren Sensorsysteme ein in „Systeme an der Kuh“ (z.B. Beschleunigungssensoren, ruminale pH-Meter), „Kuh-nahe Sensoren“ (z.B. Kameras oder Mikrofone) und „Kuh-ferne Sensoren“ (z.B. Analysevorrichtungen für Biomarker in der Milch).

Die Algorithmen können durch entsprechende Prozesse des sogenannten „machine learning“ schließlich auf Basis von Datenmustern Ereignisse voraussagen, also beispielsweise das Risiko für eine klinische Mastitis errechnen und Risikotiere anzeigen. Die Datenintegration kann aber auch sensor-unabhängige Daten umfassen wie Milchmengenmessung, tierärztlich erhobene Befunde oder wirtschaftliche Rahmendaten. Von der Entscheidungsunterstützung ergebe sich hier der nächste Entwicklungsschritt zur Entscheidungsfindung („decision making“), bei der ein System die sich auf Basis der erhaltenen Informationen anbietenden Optionen wie Separierung, Behandlung, Besamung usw. dem Tierhalter anbiete oder sogar selbst umsetze, beispielsweise indem ein Besamungsauftrag bei festgestellter Brunst automatisch übermittelt oder ein Tier durch Programmierung der Tierseparation in eine andere Gruppe überführt werde. Diese Stufe kann als vollständige Umsetzung des Konzeptes des PLF verstanden werden: Die Sensoren sind hierbei lediglich Lieferanten von Information, welche dann von Algorithmen ausgewertet und mit anderen Informationen verknüpft wird. Es ist aber festzustellen, dass derzeit kein Sensorsystem für sich allein eine volle Ausschöpfung der theoretischen Möglichkeiten erreicht. Anwender sind also vorerst auf eine Kombination von Systemen angewiesen, sollten sie eine vollständige Überwachung und Steuerung der Milchviehherde anstreben.

Algorithmen
Unter „Algorithmus“ wird ein „Rechenvorgang nach einem bestimmten [sich wiederholenden] Schema“ (Duden 2021b) verstanden. Ein Algorithmus ist also ein standardisierter, iterativer Vorgang, der dazu dient, Informationen mittels eines festgelegten Prozesses zu Aussagen zu verarbeiten. Wie bereits erwähnt, dienen Algorithmen im Rahmen des PLF dazu, aus Sensordaten oder anderen Informationen, wie z.B. Lebensereignissen der Kuh, anwendbare Informationen zu schaffen.


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