Wie Bürgerbeteiligung (nicht) funktioniert – Bürgerrat Ernährung III

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Über Formen deliberativer Demokratie ist schon viel philosophiert und diskutiert worden. Auch der damalige Wissenschaftliche Beirat des BMEL hat in seinem Gutachten 2015 deliberative Formate zur Ermittlung gesellschaftlich akzeptierter Formen der Nutztierhaltung vorgeschlagen (S. 274 ff.). Als ein Bespielt wird dort Kanada genannt, wo „über 400 Personen in zehn unabhängigen Web-Foren über die Frage der Freilandhaltung von Milchkühen diskutiert“ haben.

Weitere Beteiligungsformen reichen von Townhall-Meetings mit hunderten Personen bis zur „Grand Dèbat“ in Frankreich mit 10.134 lokalen Treffen, 27.374 eingegangenen Briefen und E-Mails und 1.932.884 Online-Beiträgen. In Frankreich ging es allerdings um viele Themen, nicht nur um die Milchkühe.

Im deutschen „Bergerrat Ernährung“ sollen nun 160 Menschen über neun hochkomplexe Themen diskutieren und haben dafür drei Wochenenden und sechs Online-Sitzungen Zeit. Ein mehr als sportliches Programm. Nein, sogar ein in höchstem Maß fahrlässiges Vorhaben.

Zu den bisher beteiligten Beiräten und der Bürgerauswahl habe ich mich bereits hier und hier geäußert. Nachdem nun der Entwurf eines Detailkonzepts vorliegt, muss ich die Kritik auf das gesamte Prozedere ausweiten. Die Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats sollen nämlich nicht nur 2-3 Experten für jedes Thema benennen, sondern es sollen zusätzlich bei allen Sitzungen Faktenchecker anwesend sein.

Diese „beschaffen und erläutern Wissensbestände zu neu entstandenen Informationsbedarfen. Auf Anforderung prüfen sie die sachliche Richtigkeit von Fakten, auf die sich die Argumentationen der Kleingruppen beziehen, und beschaffen sie Informationen zu neu entstandenen Wissensbedarfen.“

Für die Checker-Rolle werden „vorzugsweise fachlich ausgewiesene Angehörige des wissenschaftlichen Mittelbaus von Universitäten bzw. Doktorandinnen und Doktoranden angesprochen. Einzelne Faktencheckerinnen und Faktenchecker sollten zudem einen juristischen Hintergrund mitbringen“.

Nicht genug damit, dass also zwei Dutzend Experten gefunden werden müssen. Es kommt ein weiteres Dutzend Faktenchecker mit Mehrfach-Kompetenzen hinzu.

Alle zusammen sollen dann noch ihr Wissen allgemeinverständlich, ohne Fremdwörter mit didaktischem Talent vermitteln können. Wer – um Himmels Wilen – soll all diese Kriterien bei der Auswahl geeigneter Personen berücksichtigen können?

Noch fragwürdiger wird es dann durch den Verweis auf das „Feedback vorangegangener Bürgerräte, bei denen die Teilnehmenden zum Teil von der Masse und der Flughöhe des Inputs überwältigt waren. Die Prozesse wurden teilweise als verschult empfunden.“

Als Lösung hierfür wird präsentiert: „Die Arbeit am Thema soll daher mit dem Wissen und den Interessen der Teilnehmenden beginnen und nicht mit dem Input durch Expertinnen und Experten.“ Und anschließend eingestanden: „Durch das offene Prozessdesign und die Mitgestaltung der Bürgerinnen und Bürger können möglicherweise nicht alle Fragen, die dem Bürgerrat mit dem Einsetzungsbeschluss gestellt worden sind, beantwortet werden.“

Sollte der gesamte Prozess mit Ernsthaftigkeit durchlaufen werden, ist zumindest Letzteres garantiert!

Von der Komplexität der neun anstehenden General-Themen hat sicher jede und jeder eine gewisse Vorstellung. Im Fall der Nutztierhaltung erlaube ich mir die Schätzung, dass ein Vielfaches der eingeplanten Zeit nötig wäre, um nur diesen einen Bereich zu beleuchten und dass eine Masse Input und eine gewisse Flughöhe ganz unvermeidlich wären. Wie könnte es bei den weiteren acht Bereichen anders sein?

Um Bürgermeinungen zu solch hochkomplexen Dingen wie Umwelt, Klima, Nachhaltigkeit, Preisbildung und Nahrungsmittelproduktion zu ermitteln, bräuchte es mehr als einen Bürgerrat. Ein komplett anderes Konzept wäre vonnöten.

Ein Kommentar von Thomas Wengenroth

Teil I der Kritik (am Wissenschaftlichen Beirat) finden Sie hier und Teil II (an der Auswahl der Kandidaten) hier.

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