Folgt auf „Küken-schreddern“ jetzt „Hähnchen-stapeln“?

Kommentar von Thomas Wengenroth

Gleich vorab: in Deutschland werden Küken nicht geshreddert. Früher mal wurde eine Maschine mit dem euphemistischen Namen „Homogenisator“ eingesetzt. Seit vielen Jahren jedoch werden Eintagsküken in Deutschland mittels CO2 betäubt, getötet und dann als Futter an Zoos, Falknereien und gerne auch als Leckerli für Bello und Mietz verkauft. Wer „Eintagsküken kaufen“ über Google sucht, findet ein reichhaltiges Angebot vom Six-Pack, tiefgefroren bis zur Economy-Packung mit 10 Kilo.

Aber nach dem 1. Januar 2022 ist auch damit Schluss, Eintagsküken dürfen dann nicht mehr getötet werden, alle Eier müssen ausgebrütet und die Bruderhähne anschließend aufgezogen werden. Und da kommt dann „Hähnchen-Stapeln“ ins Spiel: wohin mit den vielen Vögeln? Ja, wir haben bald ein Platzproblem.

Aber der Reihe nach: wie sollen Bruderhähne eigentlich gehalten werden? Dazu gibt es ein paar Erfahrungen, vor allem aus dem Bio-Bereich, und einige, wenige wissenschaftliche Erkenntnisse. Eine spezielle gesetzliche Vorgabe gibt es überhaupt nicht. Die maßgeblichen Gremien, besetzt mit Bundes- und Landesministerialen, haben gerade erst begonnen, sich mit dem Thema zu befassen und es bleibt spannend, ob sie vor dem nächsten Neujahrstag zu Ergebnissen und passenden Regelungen kommen. Auf jeden Fall werden aber ab Mitte Januar 2022 täglich Bruderhähne ausgebrütet – eine Menge Bruderhähne.

Zwar sind eine Reihe von Methoden zur Geschlechtserkennung im Ei entwickelt und teils auch schon marktreif, sie aber flächendeckend in den verbleibenden neun Monaten einzuführen, ist völlig illusorisch. Und auch wenn dies irgendwann der Fall sein wird, schlüpfen trotzdem jedes Jahr Millionen männlicher Eintagsküken. All diese Techniken haben nämlich eine Fehlerquote von 2% bis 5%.

Bio-Bruderhähne gibt es heute schon, sie werden in strukturierter Umgebung und lockerem Besatz gehalten. Kenner sagen, 18 kg Gewicht je Quadratmeter dürfen dabei aber nicht überschritten werden. Denn: die schlanken Hähne sind äußerst aktiv und – weil sie viel länger gemästet werden, als Artgenossen aus reinen Mastlinien – erreichen sie auch die Geschlechtsreife. Dann verhalten sie sich, wie esein erfahrener Bio-Halter treffend formuliert, „wie 15-Jährige Jungs auf dem Schulhof: dumm wie zwei Meter Feldweg, aber voller Testosteron.“

Weil die Schwesterhennen auf Legeleistung gezüchtet sind, setzen ihre Brüder sehr langsam und dafür wenig Fleisch an. Um 1 kg Lebendgewicht zu erreichen, brauchen sie 14-15 Wochen; dafür fressen sie aber auch fünfmal so viel wie Masthühner.

Dies ist auch der Grund, warum für die Aufzucht der zukünftig anfallenden Mengen an Bruderhähnen, Bio-Betriebe nicht in Betracht kommen. Sie könnten niemals die nötigen Bio-Futtermassen bereitstellen. Dazu kommt der Preis – aber dazu unten mehr.

Übrig bleibt also die konventionelle Aufzucht und zwar in bereits vorhandenen Ställen. Neue Behausungen für Bruderhähne zu bauen scheidet aus, allein weil die Genehmigungsverfahren viel zu lange dauern würden. Und: wer will schon einen neuen Hühnerstall im Ort? Also werden erfahrene Hähnchenmäster gesucht, die geschwind ihre Ställe mit Strohballen, Luzernespendern, erhöhten Sitzflächen und Versteck-Möglichkeiten ausstatten, um dann frohgemut und flugs in die Bruderhahnmast einzusteigen.

Da „Hähnchen-Stapeln“ aber nicht wirklich eine Option ist, werden für jeweils eine Million Hähne 250.000 Stallplätze benötigt: vier Mastdurchgänge im Jahr, Besatzdichte 18 kg/qm, Stallfläche 14.000 qm (oder 10 Ställe im Format 20×70 Meter). Für die erste Million mögen die noch zu finden sein, spätestens bei fünf Millionen wird es eng.

Verdienen wollen die Mäster am Ende auch noch was. Weil aber die „ausgemästeten“ Vögel sehr schmalbrüstig bleiben, fällt die übliche Vermarktung aus. Statt Filet gibt es entweder einen ganzen Hahn für Schmor- und Suppentopf oder – viel wahrscheinlicher – verarbeitet zu Wurst und Frikadellen. In jedem Fall jedoch lässt sich der Bruderhahn nur zum Discounterpreis verkaufen und nicht zu bio-mäßigen € 20,- das Kilo.

Dann aber klafft eine ziemliche Lücke, zwischen Erzeuger-Aufwand und Erlös. Wer schließt die und auch wie? Eine Quersubventionierung übers Ei? Wie hoch müsste der Aufschlag da ausfallen? Wie landen die Extra-Erlöse des Legehennen-Halters dann beim Bruderhahn-Mäster? Braucht es dazu etwa eine „Initiative Bruderhahn“ (natürlich schlank wie der Hahn selbst, mit minimalem Verwaltungsaufwand)?

Ein paar Fragen gäbe es also – aber wir haben ja noch jede Menge Zeit…

Weitere Informationen zum Thema:
Prof. Rudolf Preisinger (EW Group): „Legehennen, Bruderhähne, Geschlechtserkennung im Ei“ (AfT-Symposium 2019)

Dr. Julia Malchow (FLI): „Eignet sich das Zweinutzungshuhn als Alternative in Mast und Eierproduktion?“ (Geflügeltagung 2019)

Aktueller Stand bei der in ovo-Geschlechtsbestimmung beim Huhn – #EuroTier2021

Zukunftsperspektiven für Bruderhähne und Zweinutzungshühner – #EuroTier2021

2 Kommentare

  1. Wer hats verbockt?
    Die Geflügelzüchter, weil sie statt Zweinutzungsrassen spezialisierte Rassen für Mast und Eierproduktion gezüchtet haben und so ganz nebenbei Bruderhähne, sprich „50 % Ausschussleben“ in Kauf nehmen, dass man bisher billig „entsorgen“ konnte?
    Die Konsumenten, weil sie jeden Tag grosse Mengen Fleisch essen und nichts dafür bezahlen wollen?
    Der Gesetzgeber und die Behörden, weil sie erst viel zulange zugesehen haben und nun von einem Jahr aufs andere Regeln aufstellen, die eine völlig andere Ausrichtung der Geflügelzucht und -haltung bedingen?

    Fakt ist doch, dass alle Beteiligten ihren Anteil am Problem haben. Also kann die Situation auch nur durch einen Beitrag aller gelöst werden. Die Industrie muss neue Lösungen und Absatzmöglichkeiten finden, der Gesetzgeber muss vorausschauend lenken, die nötigen Anreize setzen und bei Änderungen ausreichende Fristen einräumen und der Konsument muss bereit sein für Qualität und ethisch vertretbare Produktionsbedingungen einen fairen Preis zu bezahlen.

  2. Zweinutzungshühner der Rasse Lohmann Dual gibt es ja schon lange, die aber keine große Verbreitung gefunden haben und deren Potential, nach Auskunft der Züchter, auch praktisch ausgereizt ist. Die Versuche Bio-Linien zu züchten machen auch nicht wirklich Mut (https://derhoftierarzt.de/2022/05/zwischenstand-beim-projekt-oeko2huhn-bioland-tagung-2022/).

    Im Prinzip ist die Aufteilung Mast- und Legelinien ja resourcenschonender, aber beim Tierwohl ist eben noch einiges zu verbessern. Und schließlich: in einer gerechten Welt ginge der Konsum von Hühnerfleisch deutlich zurück (https://derhoftierarzt.de/2021/07/die-kuh-als-umweltsau-welternaehrung-umweltschutz-und-nachhaltigkeit/).

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